ULVER- „Trolsk Sortmetall 1993-1997“
Der Wolf hat einen zentralen Stellenwert in der Mythologie. Als Einzelgänger in der Tierwelt streift er lediglich mit den Seinen umher, gleichzeitig als grimmiger Jäger und liebevolles Familienoberhaupt bekannt. Seine Mystifizierung wird zusätzlich durch den Werwolf Mythos unterstrichen, bei denen sich der Mensch seiner Ratio und seinen Werten vollständig entledigt und sich ganz seinem animalischen Kern, der ausschließlich von Instinkten gesteuert wird, hingibt. Genau diesem Prinzip haben sich ULVER („Wolf“) auf der kreativen Seite verschrieben und in den Jahren 1993-1997 mittels einer Trilogie vertont. Nachdem sie lange vergriffen war, wurde „Trolsk Sortmetall“ wiederveröffentlicht, was die drei ersten Alben „Bergtatt“, “Kveldssanger“ und „Nattens Madrigal“, sowie die Demo „Vargnatt“ und ein 102-seitiges Booklet beinhaltet, in dem seltene Fotos, sämtliche Texte und (endlich) die Übersetzungen an Bord sind.
Die Geschichte der Trilogie basiert auf der norwegischen Mythologie, bei der noch einiges an Eigeninterpretation dazu gedichtet wurde. Den Anfang mach „Bergtatt- Et Eeventyr i 5 Capitler“ („Spellbound- A Folktale in 5 Parts“). Gleich zu Beginn von `Capitel I: I Troldskog faren vild` fällt auf, dass man hier keine gewöhnliche Black Metal Scheibe auf dem Teller liegen hat; Midtempo, harsche Gitarren und klarer (!) Gesang. Einen ganzen Song damit zu verzieren war ein Novum, das damals nur ULVER gewagt haben und damals wie heute der absolute Gänsehautgarant ist und für sich alleine schon das Album rechtfertigt. Obwohl ich kein Wort verstehe, spielt sich im Kopfkino jener Film ab, in dem eine Jungfrau durch die Wälder irrt und von den Geheimnissen des Waldes empfangen und gleichermaßen bedroht wird. Am Mikro ist übrigens Garm, dessen Stimme bereits bei Arctutus und Borknagar mitgewirkt hatte. `Capitel II: Soelen gaaer bag Aase need` umschwärmt die Ohren mit einer akustischen Folklorenpassage (Gitarre und Flöte), ehe die verwaschenen Gitarren, das stumpfe Schlagzeug und die typische Black Metal Stimme die Boxen fluten. Es wird nie in Stumpfsinn abgedriftet, dafür sorgen die klargesungenen Chöre im Hintergrund, der atmosphärische Mittelteil und die geschickt eingestreuten Klargesänge. Sphärische Gitarrensoli gibt es auch, die perfekt mit dem rabiaten Geballer und dem Gesamteindruck harmonieren. Auch `Capitel II: Soelen gaaer bag Aase need` umgarnt zu Beginn mit introvertiertem Gesang und Akustikpassage, ehe es in Raserei verfällt. Ein wenig stumpfer, noch etwas roher aber von einer Hörpassage unterbrochen, die auch locker ihren Platz in einem Hörbuch gefunden hätte. Untypisch, befremdlich und ungemein atmosphärisch. Im Anschluss daran feuert man sowohl aggressiv, als auch harmonisch aus allen Rohren. `Capitel IV: Een Stemme locker` deutet das an, was auf dem Nachfolgealbum in vollem Umfang zelebriert wird; ein melancholischer Folkore Trip vom Feinsten. Unfassbar, wie viel Atmosphäre man mit einem Metronom, 2 Akustikgitarren einem mystischen Gesang und eingestreutem Frauengesang im Hintergrund erzeugen kann. `Capitel V: Bergtatt – ind i Fjeldkamrene` dreht das bisherige Prinzip um und galoppiert aggressiv nach vorne, ehe es sich mit einer akustischen Passage ausbremst, die überraschend lange anhält. Der Break mit dem Klargesang legt innerhalb eines Herzschlags die Gänsehaut frei, die sich dann auch über den aggressiven Rest erstreckt. Knackige Gitarrenriffs lotsen zielsicher durch die Black Metal Ströme, um den Hörer beim Abklingen mit leisen Gitarrenklängen und dem Gefühl der Einsamkeit zurück zu lassen. Wenige Sekunden später versöhnt erneut eine Akustikpassage die Sehnsucht nach mehr uns schlägt die Brücke zu „Kveldssanger“.
„Erwarte das Unerwartete“ heißt es auf dem zweiten Album „Kveldssanger“ („Twilight Songs“), das mit seinem farbenfrohen und gleichzeitig verwaschenen Cover der Eyecatcher schlechthin ist. ULVER haben hier alle Black Metal Elemente rausgeschmissen; kein Schlagzeug, keine sägende Gitarren und keine Kreischvocals. Stattdessen wurde ein komplett folkloristisches Album eingespielt, das neben Akustikgitarren auch Cello, Flöte und natürlich auch atmosphärische Soundcollagen beinhaltet. Ein extrem mutiger Schritt und ein Beweis dafür, dass sich diese Band keinen Deut darum schert, was Fans von ihnen halten, sondern ihr Ding durchziehen. Die Musik dominiert und daher gibt es kaum Texte; lediglich die Info aus dem ursprünglichen Booklet wurde übersetzt, in dem ULVER klar machen, dass sie dieses Album als Projekt angesehen haben. Gerade dieses freimütige Denken den Mut zur Veröffentlichung rechne ich der Truppe bis heute hoch an. Das Album selbst klingt stellenweise so, als hätte man die besten Akustikelemente aus dem Black Metal seziert und auf einem Album verewigt. Überwiegend melancholisch und nachdenklich, außer zwei Ausnahmen, bei denen die Gitarrenlinien schon fast wie Kinderriffs klingen. Es war stellenweise unausgegoren, aber im Großen und Ganzen eine runde Sache mit viel Herzblut und noch mehr Atmosphäre.
Mit „Nattens Madrigal“ habe ich mich sehr schwer getan, und tue es bis heute noch. Von dem rein akustischen Stil, besinnten sich ULVER erneut zu ihren Black Metal Wurzeln und kramten alle Black Metal Elemente wieder raus. Eigentlich keine schlechte Idee, wäre da nicht die grottenschlechte Produktion, für die sich selbst Darkthrone geschämt hätten. Mal ganz ehrlich: wie kann man zwei Götteralben auf den Tisch hauen und danach eine derartige Grütze servieren? Nachdem ich den Mut gefasst hatte und wenigstens einige Minuten reingehört hatte, um vielleicht einige interessanten Momente raus zu hören, musste ich aufgrund der Produktion kapitulieren. Erst Jahre später bekam ich die Scheibe erneut auf den Tisch und machte mich nochmal an den Versuch und siehe da, es gibt tatsächlich einige Momente, die sich von dem monotonem Songwriting und der Rotzproduktion abheben. Durchbrochen wird alles von einigen Akustikpassagen und Soundcollagen, ansonsten bleibt es beim Staubsaugersound. Aber Moment mal: ist es nicht eigentlich auch genau das, was eine Black Metal Band ausmacht? Das Prinzip haben bereits Burzum und Abigor gefahren und großartige Songs in widerwärtige Rotzproduktion versteckt. Während ich mir die Frage stelle, gewöhnt sich mein Ohr langsam an den Sound und ich erkenne tatsächlich sowas wie unterschiedliche Songs darin. Freunde des rohen, norwegischen Black Metals dürften angesichts dieser Scheibe die ULVER Platte schlechthin vor sich haben. Für mich ist und bleibt es einfach eine Herausforderung, der ich mich nur gelegentlich stellen kann, ohne dass mir der Kopf platzt.
Die Box enthält auch die Promo Demo „Vargnatt“ aus dem Jahr 1993, die für eine Demo schon recht ausgeglichen klingt und mit einigen Überraschungen aufwartet. Zum einen klingt die Produktion um einiges besser als bei „Nattens Madrigal“ und es wird vieles angedeutet, was später auf den Alben zelebriert wird. Sei es verschachteltes Songwriting (hier noch recht extrem und von jeglichem Stil gelöst), Akustikpassagen, klarer Gesang und einer einzigartigen Atmosphäre. OK, an einigen Stellen ist der klare Gesang extrem schief geraten, was aber aufgrund des Demo Status gut zu verschmerzen ist. Zu vielseitig, tiefgründig und überraschend sind die Songs, als dass man hier meckern könnte. Eine Akustikpassage erinnert an Katatonia, das war´s auch schon mit Vergleichen. Gerade wenn man sich für die ersten musikalischen Schritte dieser Band interessiert, ist die Promo eine echte Bereicherung und es gibt darauf einiges zu entdecken.
Nach dem Abschluss ihrer Trilogie wendeten sich ULVER gänzlich neuen Gefilden zu. Mit „The Marriage Of Heaven And Hell“ (inspiriert von William Blake) waren der klare Gesang, Schlagzeug und auch dezente Gitarren an Bord, aber das war´s dann auch schon mit dem Wiedererkennungswert. Ansonsten dominierten die elektronischen Elemente, denen sie sich bis heute auch noch verschrieben haben. Nach einigen Durchläufen war ich selbst erstaunt, dass ich Zugang dazu gefunden hatte, obwohl es etwas gänzlich anderes war. Es klang wie eine elektronische Antwort auf ihre eigene Trilogie, bei denen sie sich selbst neu definierten und eine Symbiose aus Rock- und Metalelementen erschufen, die auch mit Trip Hop, Ambient und Elektronik harmonierten. Alles, was danach kam, entzieht sich meinen Augen, weil es für meinen Geschmack zu viel an Elektrik und zu wenig Gitarren waren. Ausnahme bildet für mich hier „Shadows Of The Sun“, das durch seine abgrundtiefe Melancholie ein weiterer Meilenstein dieser Band ist. Violine, Klavier, soundtrackartige Collagen und diese charismatische Stimme sind für mich der Inbegriff von einer introvertierten, schon fast intimen Atmosphäre, die nicht für jedermann geeignet ist. Einige, kurze Ausflüge zu „The Wars Of The Roses“ oder „The Assassination of Julius Caesar” sind zwar drin, aber für mich bleiben ULVER immer jene Wölfe, die in den 90ern aufgrund ihres innovativen Songwritings den Black Metal Fans die Scheuklappen abgerissen und das Genre für sich neu definiert haben.
Fazit: „Trolsk Sortmetall“ ist für alle ULVER Fans und Black Metal Freunde, die eine neue Sicht der Dinge erleben wollen, uneingeschränkt empfehlenswert. Die Aufmachung der Box, das schöne Booklett und die ersten drei Alben als Digipack machen ein schönes Bundle und über die Musik wurde bereits alles gesagt. Besitzer eines Plattenspielers sollten sich diese Alben unbedingt auch auf Vinyl holen, da sie endlich in der remasterten Version erhältlich und auch wunderschön gestaltet sind. Egal, ob zuhause im stillen Kämmerlein, im Auto oder (am besten) bei Nacht, die Songs haben im Lauf der Jahre absolut nichts von ihrem Zauber eingebüßt, sondern erstrahlen auch heute noch im eigenen Licht am Black Metal Kosmos.
Beware The Light of Day…
/Sebastian Radu Groß