Interviews

JACOB´S FALL – Wenn Emotionen über Genregrenzen triumphieren (Interview)

Schon mal von MY INSANITY gehört? In den 90ern war es eine Gothic Version von Samael, allerdings mit einer großen Prise Eigenständigkeit und einer herausragenden Stimme, deren Charisma ihresgleichen sucht. Einige ehemaligen Mitglieder musizieren unter JACOB´S FALL weiter und haben ein Album rausgehauen, das berührt, überrascht und fasziniert (siehe auch unser Review).
Grund genug sich mit den Jungs einmal über Entstehung, Entwicklung und Ambitionen zu unterhalten.

Hallo und danke für eure Zeit. Wie würdet Ihr jemandem JACOB´S FALL beschreiben, der noch nie etwas von euch gehört hat?

Christian: „Schwer zu sagen. Die Frage kann Dir ein Außenstehender vielleicht besser beantworten. Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass unsere Musik sehr frisch klingt. Grob könnte man das Material als Mischung aus harter Rock Musik und Synthie Pop bezeichnen. Diverse Klassik-Anleihen sind auch zu vernehmen. Man bekommt auf keinen Fall irgendwelche Standardware. Am Besten hört jeder, der auf originelle, abwechslungsreiche Musik steht, einfach selbst mal rein. Mir fallen keine Bands ein, die man als direkten Vergleich heranziehen könnte.“

Gehen wir einmal kurz zurück zu den Anfangstagen; wie kam die Bandgründung und der Bandname zustande? Ihr kanntet euch ja bereits von My Insanity.

René: „Unser Sänger Christian und ich haben Ende der 90er gemeinsam bei My Insanity musiziert. Nach meinem Ausscheiden 2001 blieben wir in lockerem Kontakt, obwohl ich zwischendurch an den Bodensee gezogen bin, während Christian 600 km nördlich in der Heimat verweilte. 2011 schickte er mir einige Songs, die er komponiert hatte und fragte, ob wir vielleicht gemeinsam was daraus machen könnten. Da ich von dem Material völlig begeistert war, gab ich natürlich sofort mein Okay. Insgeheim hatte ich eh immer gehofft, mal wieder gemeinsame Sache mit ihm zu machen.“

Christian: „Als nächstes haben wir überlegt, wen wir uns als Gitarristen ins Boot holen könnten, und kamen dabei ziemlich schnell auf unseren alten Freund Jens Pietzonka, der ebenfalls mal zu My Insanity gehörte. Der war sofort Feuer und Flamme. Die Position des Bassisten war da schon wesentlich schwieriger zu besetzen. Ich weiß gar nicht mehr so genau, wann Daniel dazukam.“

Daniel: „Das war erst kurz vor unserem ersten Gig Ende 2016. Vorher hattet ihr ja schon diverse andere Leute angetestet. Ins Spiel gebracht wurde ich von Jens, mit dem ich schon in verschiedenen anderen Kapellen gespielt hatte.“

René: „Man kann also 2016 als Gründungsjahr von Jacob´s Fall ansehen, da der Bandprozess erst ab da so richtig in Schwung kam.“

Christian: „Der Bandname geht auf meine Kappe. Er bezieht sich auf die Bibelfigur Jacob, wobei wir betonen möchten, dass wir keine christliche bzw. religiöse Band sind. Dieser Jacob sieht im Traum eine Leiter, die als Verbindung zwischen Himmel und Hölle dient. Mit dem Fall von der Leiter versuchen wir symbolisch darzustellen, dass die Menschheit danach strebt in den Himmel (=bessere Welt etc.) zu kommen, jedoch durch ihr prinzipielles Verhalten oft daran scheitert. Der Bandname symbolisiert also grob gesagt die Überheblichkeit bzw. das Scheitern der Menschheit.“

Herzlichen Glückwunsch zu „Lost in Silence“! Ehrlich gesagt hatte ich beim Hören des Albums ein seltenes Luxusproblem: einerseits habe ich analytisch versucht das Album zu hören, um es für eine Rezension optimal beschreiben zu können. Als Gegengewicht driftete der analytische Fokus komplett ab, weil ich mich immer wieder in eure Songs fallen lassen habe und einfach die unfassbar abwechslungsreichen Klangwelten genießen wollte. Man kann euch (zum Glück) nur schwer einordnen; es ist, als würde man eine frische Band hören, die mit den Erfahrungen von Bands der 90er Jahre (Moonspell, Lacuna Coil, Therion) gesegnet ist. Wie kann man sich den Songwritingprozess bei euch vorstellen; klassisch im Proberaum oder modern über das Internet?

Christian: „Weder noch! Aber erstmal vielen Dank für das Lob! Die Songs stammen alle von mir. Beim ersten Album „The War We Miss“ von 2019 entwickelte ich sämtliche Melodien sowie einen Großteil der Riffs und der Drumparts. Durch intensives gemeinsames Proben haben wir die Songs dann zu dem Material geformt, welches auch auf der fertigen Scheibe zu hören ist. Bei „Lost In Silence“ haben wir etwas anders gearbeitet. Während das erste Album im Woodhouse Studio aufgenommen wurde, haben wir die neue Scheibe in kompletter Eigenregie im Proberaum eingespielt. Da wurden bei den Recordings stellenweise komplette Songstrukturen verändert oder neue Ideen ausprobiert. Da wir keinerlei Kosten- und Zeitdruck hatten, war das überhaupt kein Problem. Im Prinzip kann man sagen, dass die Songs komplett aus meiner Feder stammen, das Material aber erst durch das Zusammenspiel aller Bandmitglieder zu dem wird, was man am Ende auf dem Album hört oder beim Konzert erlebt.“

Wie kam der Albumtitel zustande und was bedeutet er für euch persönlich?

Christian: „Der Titel stammt von mir. Ursprünglich hatte ich auch eine ganz andere Idee für das Plattencover. Man sollte vom Weltall aus einen Planeten sehen, auf dem ein Kind mit einem Teddybären im Arm steht, das traurig und verloren wirkt. Damit sollte symbolisiert werden, dass man als einzelne Person in der Gesellschaft ganz oft überhört wird. Man kann den Titel aber auch direkt auf den Planeten beziehen. Irgendwann hatten wir neue Ideen für das Coverartwork, wollten den Titel aber unbedingt behalten. Der Song und dessen Text sind übrigens erst viel später entstanden.“

Könnte bitte jemand dem Sänger sagen, dass er bei `Like the Leaves`(ab Minute 02:38) die Gesangsspur einfach nur endlos weitersingen soll, damit ich die Gänsehaut bitte länger genießen kann? Ganz ehrlich: ich war angetan, aber ab der Stelle habt ihr mich komplett erwischt: Danke! Ein kurzer Blick auf die Vocals; wie kommen die Geschichten zustande? Sind es persönliche Erfahrungen, werden Eindrücke verarbeitet oder ist es etwas völlig anderes?

Jens: „Die Texte stammen allesamt aus meiner Feder. Du liegst ganz richtig mit Deiner Vermutung. Prinzipiell entstehen die Lyrics aus Dinge, die mich gerade beschäftigen oder die mir im täglichen Leben widerfahren. Das sind sowohl private als auch gesellschaftsrelevante bzw. politische Themen. Häufig dienen mir die Texte dazu, bestimmte Ereignisse zu verarbeiten. „The Hole“ ist beispielsweise ein Song, der mir textlich ganz viel bedeutet.“

Ihr habt ja aufgrund eurer vorangegangenen Banderfahrungen einiges an Bord, das euch in die Karten spielt. Man hört quasi heraus, dass ihr euch gut untereinander versteht und gleichzeitig entspannt und konzentriert an die Musik herangeht. Wie würdet ihr die Herangehensweise an die Songs beschreiben und was hat sich an der Art und Weise (im Vergleich zu euren Vorbands) verändert?

René: „Jeder Einzelne von uns hat schon jahrelange Erfahrung, sowohl auf der Bühne als auch im Studio. Stellenweise auch gemeinsam. Über die Jahre lernt man halt, worauf es beim Musizieren im Kollektiv ankommt bzw. wie sich jeder am Effektivsten einbringen kann. Ich denke, das kann man schon irgendwie hören. Im Vergleich zu den alten My Insanity-Scheiben klingt jetzt alles viel runder und stimmiger. Damals wollte man halt auch mal zeigen, was man technisch alles drauf hat. Das war aber selten songdienlich. Mittlerweile hat jeder auch reichlich Lebenserfahrung gesammelt, sodass das gemeinsame Miteinander viel entspannter abläuft. Das macht sich in sämtlichen, die Band betreffenden, Belangen bemerkbar.“

Ihr habt ja auch einen YouTube Kanal. `Walk Through Ashes` wurde bereits aus dem Album ausgekoppelt. Sind weitere Videos geplant und was ist euch generell bei Videoauskopplungen wichtig?

Daniel: „Es sind auf jeden Fall weitere Videos geplant. Es gibt auch schon reichlich Ideen, die wir demnächst versuchen umzusetzen. Lasst euch überraschen!“

Christian: „Prinzipiell wollen wir es vermeiden, einfache Performance-Clips zu machen. Die sieht man ja von so ziemlich jeder Band. Wir erzählen lieber Geschichten in unseren Videos, als einfach eine musizierende Band zu zeigen. Das finden wir ziemlich langweilig. Der nächste Clip wird konzeptionell, aber ganz anders ausfallen, als „Walk Through Ashes“. Erstaunlicherweise gab es auch viele Rückmeldungen, dass Leute die Story des Clips gar nicht so richtig verstanden haben.“

René: „Wir wollen halt die üblichen Klischees vermeiden. Am schönsten wäre es, wenn wir mit den Videos unseren eigenen Stil – sowohl musikalisch als auch visuell – zum Ausdruck bringen könnten.“

Gibt es eigentlich Merch von euch und ist eine Vinylversion von „Lost in Silence“ erhältlich?

Daniel: „Es gibt verschiedene T-Shirt-Motive, die man auf den üblichen Wegen (Bandcamp, Facebook etc.) erwerben kann. Derzeit wird bereits an neuen Sachen gearbeitet. „Lost In Silence“ gibt es auf Vinyl und zudem als digitale Version auf allen entsprechenden Plattformen. Eine CD-Variante ist erstmal nicht geplant, da sich dieses Formal derzeit leider kaum verkaufen lässt. Unser erstes Album „The War We Miss?“ ist übrigens weiterhin als CD und auf den digitalen Plattformen erhältlich.“

Auch euer Albumcover sticht aus der Masse hervor; man hat das Gefühl, selbst auf einem Floß zu sitzen, während die Welt um einen herum auseinanderbricht und versinkt. Das einzige, was einen dann noch am Leben (oder über der Meeresoberfläche) hält, ist die Musik. Wie kam das Cover zustande und wer hat es erstellt?

René: „Wie schon erwähnt, hatten wir bzw. Christian zunächst ein völlig anderes Cover im Sinn. Nachdem wir ein intensives Brainstorming mit Björn Goosses von Killustrations hatten, kamen wir irgendwann zu der Einsicht, dass sich die alte Idee eher schlecht umsetzen ließ. Björn, der bereits unser letztes Shirt entwarf und bereits für unzählige Bands Albumcover anfertigte, hatte das nun vorliegende Covermotiv in seinem Archiv und meinte, das würde doch gut zum Albumtitel passen. Als ich das Bild zum ersten Mal sah, war ich völlig begeistert. Zum Glück ging es meinen Bandkollegen genauso. Deine Interpretation, dass Musik das einzige ist, was einem am Leben hält, ist ein sehr schöner Gedanke, der wirklich gut zum Coverbild passt. Mit dem untergegangenen Floß spannen wir gleichzeitig den Bogen zum Bandnamen, der ja grob das Scheitern der Menschheit symbolisiert.“

Habt ihr noch weitere Pläne/Konzerte für dieses Jahr im Visier?

Daniel: „Es stehen für dieses Jahr noch einige Gigs an, u.a. im September auf einem Festival in Berlin. Da wir aber bisher bei keiner Agentur unter Vertrag stehen, ist es momentan eher schwierig, an vernünftige Auftritte heranzukommen. Falls ein Booker Interesse hat, kann er uns gern kontaktieren. Ansonsten arbeiten wir bereits an neuen Songs, da die Pause bis zum nächsten Album nicht wieder 6 Jahre dauern soll.“

Danke für euer wunderschön und ergreifendes „Lost in Silence“; das Album ist definitiv der beste Grund, ein Fan von euch zu werden! Ich wünsche euch eine schöne Releaseparty und weiterhin alles Gute mit JACOB´S FALL! Die letzten Worte an unsere Leser gehören euch 😊

Lukas: „Erstmal möchte ich mich im Namen der ganzen Band für das Interview und Deine lobenden Worte bezüglich des Albums bedanken. Wir sind schon sehr auf Dein Review gespannt! Des Weiteren hoffen wir natürlich, dass sich möglichst viele Leute mit unserer Musik beschäftigen. Wie bereits erwähnt, gibt es so Einiges zu entdecken. Live sollte man sich das natürlich auch mal anschauen. Danke und viele Grüße an alle Leser!“

Redakteur: Sebastian Radu Groß

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