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DEPRESSIVE AGE – Ein Blick auf die Berliner Ausnahme-Metal-Band (Special)

Vor über 20 Jahren noch als Geheimtipp avanciert und nunmehr als Kult angesehen. DEPRESSIVE AGE setzten im Metalsektor damals ihre ganz eigene Duftmarke, die sich stilistisch in keine Schublade einordnen ließ. Melancholischer Thrash kommt der Sache noch ansatzweise am nähesten.

Im Laufe ihrer (relativ kurzen) Karriere von 1991 bis 1999 loteten sie ihre eigenen Grenzen aus, experimentierten mit eingängigen Melodien („Symbols For The Blue Times“) und öffneten sich für modernen Sound („Electric Scum“). Nun sind sie wieder zurück und starteten ihren Live-Siegeszug über die Bühnen, ehe es zum (hoffentlich) neuen Album kommt. Grund genug für uns, einen intensiven Blick hinter die Entwicklung von DEPRESSIVE AGE zu werfen.

Wir schreiben das Jahr 2017; an einem gemütlichen Nachmittag im August schlendere ich über das Party San Gelände in Schlotheim. Die Mittagssonne brennt erbarmungslos und ich habe soeben den Merch-Stand und meine Geldbörse um einiges erleichtert. Ein gemütliches Bierchen zischen und dann ab zum Deaf Forever Stand, um mit einigen Kollegen des Legacy Magazine zu plaudern. An jenem Tag ziert das DEPRESSIVE AGE Longsleeve von der „Symbol For The Blue Times“ meinen geschundenen Körper. Als ich beim Deaf Forever Stand ankomme, starrt mich ein großer Hüne mit langen Haaren an, deutet auf mein Shirt und meint nur „Geile Band!“. Ich freue mich auf einen kleinen Plausch und frage ahnungslos „Ja, ich liebe ihre Alben. Kennst du einiges von denen?“ Mein Gegenüber kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und meint „Ja, ich habe mal einen Song mit denen gesungen.“ Es entsteht eine kurze Pause, bis sich diese Information durch meine von Hitze und Bier geschundenen Nervenbahnen zu meinem Langzeitgedächtnis vorgearbeitet hat. „Du bist Brutus!“ bricht es aus mir heraus. „Du hast bei `Eternal Twins`gesungen!“ Nachdem ich mühsam einen Kniefall vermieden habe, kommen wir ins Gespräch. Unter anderem frage ich ihn, was die Jungs jetzt so machen. „Keine Ahnung“ lautet die ernüchternde Antwort. „Es wäre sooo geil, wenn die mal wieder auftreten würden. Die Alben waren einfach der Hammer und sind bis heute zeitlos genial!“

Anno 2022 verkünden DEPRESSIVE AGE ihre Reunion und ihren Auftritt auf dem Rock Hard Festival. Vorher spielen sie sich noch etwas warm auf kleinen Clubbühnen in Rostock und Erfurt. Für mich selbst und viele andere geht mit dieser Entscheidung ein unfassbarer Traum in Erfüllung, denn ich hatte nie die Gelegenheit, die Band einmal live in Aktion sehen zu können.

Grund genug, um eine Zeitreise in die Vergangenheit zu machen: Ursprünglich „lärmte“ man unter dem Namen BLACKOUT, ehe man nach Westdeutschland übersiedelte und sich 1991 in DEPRESSIVE AGE umbenannte. Dabei spielte der Mauerfall der Band in die Karten und sie setzten mit „First Depression“ ein erstes Lebenszeichen.

„First Depression“

Das akustische Intro mit der eingestreuten Leadgitarre lässt bereits erahnen, dass Großes auf einen zukommt, ehe `Beyond Illusions` über den Hörer hereinbricht. Schnell wird klar, dass man es hier nicht mit einer 08/15 Thrash Band zu tun hat, denn der klare Gesang mit fixen und gleichzeitig eingehenden Gitarrenlinien vereint sich zu einer ganz eigenen Note, die zusammen mit dem tighten Schlagzeug eine Symbiose aus Aggression und Melancholie ergeben. Der Bandname ist hierbei Programm, wobei die Nackenwirbel schnell an ihre Grenzen gebracht werden, denn statt Trauer regiert die Flucht nach vorn in Richtung aggressiver Verzweiflung. Auch textlich („No god will save or godemn you, set your goal für your life“) spricht hier eine klare Sprache und holt den Hörer individueller ab, als manch andere Kapelle es mit gesellschaftskritischen Texten machen könnte. `The Light` ist ein aggressiver Bastard aus Griffbrettgewichse und eingängigen Melodien, ehe eine tonnenschwere Basslinie `No Risk` ankündigt. Spätestens hier kommt der Gänsehautfaktor zustande, der im Zusammenspiel mit dem cleanen Part und Jan Lubitzkis Stimme deutlich zu hören (und zu spüren) ist. Eine ganz große Stärke, die sich durch die komplette Diskographie ziehen soll. Das infernalische Riffing und gleichzeitig die hohen Melodien in `Autumn Times` zerren die mentale Gesundheit des Hörers durch die Gehörgänge und hinterlassen einen melancholischen Nachgeschmack im Langzeitgedächtnis. Abwechslung wird grundsätzlich großgeschrieben, ohne den Härtegrad auch nur ansatzweise runterschrauben zu müssen, wie `Transition` eindrucksvoll beweist. Spätestens bei `Innocent in Detention` wird auch klar, dass DEPRESSIVE AGE sehr gut Geschichten erzählen können. Die Kälte, Isolation und Hoffnungslosigkeit, die im Knast erlebt wird, ist hier ganz großes Kopfkino und jede Sekunde wird hier mehr als intensiv gelebt. Schrägen Gesangseinstieg und gleichzeitig intensive Ohrwurmgarantie beim Refrain? Gibt es hier mit `Never Be Blind` definitiv, ehe `Circles Colour Red` den Sack zumacht und DEPRESSIVE AGE fest ins Langzeitgedächtnis einbetoniert.

„Lying in Wait“

Ein starkes Debut zu toppen ist grundsätzlich eine schwere Angelegenheit. Entweder man geht auf Nummer sicher und hält am Erfolgskonzept fest, oder man experimentiert und entwickelt sich weiter. DEPRESSIVE AGE schaffen den Spagat aus beiden und knallen gleich mit dem Opener `Lying in Wait` eine charismatische Gitarrenlinie auf den Tisch, den ausschließlich dieser Truppe gut zu Gesicht steht. Auch den Galopp und die fetten Groovemonster in der Mitte des Songs haben sich nicht umsonst zum Kultstatus gemausert. `Where` ist eigentlich ein typisches Aggromonster, das besonders geschickt von melancholischen Momenten durchpflügt wird. `Way Out` ist ein eigenes Kunstwerk, dass sämtliche Stärken vereint; deftige Riffgewitter, charismatischer Gesang (This town is dangerous…), ballerndes Schlagzeug und eine finstere Atmosphäre. Die Band kommt aus Berlin und der gleichnamige Song beschreibt die Mischung aus dreckiger Atmosphäre und eigener Schönheit schon sehr gut, ehe `Psycho Circle Game` der auditiven Depression Platz macht. Mit `The Story – Autumn Time II` knüpft die Band musikalisch perfekt an den Vorgänger an, während `My Wine` mit seiner Eingängigkeit bereits das andeutet, was im nächsten Album bereits ausgiebig zelebriert werden soll. Eine gehörige Priese Doom kommt mit `From Out of Future` ins Spiel, an die man sich später auch nicht mehr herangetraut hat. Auf dem Album funktioniert es sehr gut und zieht um einige Ecken sogar kurz den Vergleich zu Paradise Lost. `Hateful Pride` ist in meinen Augen „nur“ ein Durchschnittssong, ehe mit `Eternal Twins` ein unfassbar kultiges Duett zwischen Jans klarem und Brutus´ brutalen Vocals zelebriert wird, dass hier auch Death Metal Fans frenetisch abfeiern lässt. Kult!!!

„ Symbols For The Blue Times“

Die Kreativität explodiert, denn nur ein Jahr später kommt ein Album auf den Tisch, das in Sachen Eingängigkeit den Weg zu einem sehr großen Publikum ebnet. Die pechschwarze Atmosphäre weicht verspielten und gleichzeitig eingängigen Gitarrenmelodien, was der Opener `Hills For The Thrills` eindrucksvoll beweist. Einmal Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen wäre eine Entscheidung, die den Charakter formt. Davon erzählt `World in Veins` eine klare und schonungslose Sprache, die von lockeren bis aggressiven Gitarrenparts klar untermauert wird. Mein persönlicher Ohrwurm vor dem Herrn dürfte definitiv `Garbage Canyons` sein, wobei der Songtext alles andere als leichte Kost ist. Ein sehr guter Beweis, dass manche Bands etwas zu sagen haben und gleichzeitig sehr gut in ihre Musik verpacken können. `Hut` ist für mich ehrlich gesagt eine solide Nummer, während `Subway Tree` alle Vorteile dieser Band vereint; authentischer Gesang, eingängige Riffs und tightes Schlagzeug klatschen den Song direkt in die Fresse, inklusive Gänshehautnachschlag. Mit `Port Graveyard` haben DEPRESSIVE AGE eine derart melancholische Nummer erschaffen, dass selbst My Dying Bride anerkennend nicken dürften. Sterben im Wüstensand war selten so real, wie in diesem emotionalen Kopfkino. `We hate Happy Ends` unterstreicht die mittlerweile sehr gut gereiften Gesangskünste und setzen gleichzeitig ein klares Statement, was sehr gut zum Bandnamen passt.

Während `Friend Within` schon fast eine lässige und gleichzeitig schwermütige Parallele zu den Vorgängeralben ist, knallen die Gitarren bei `Neptune Roars` mit einer Mischung aus Soundcollage und knackigen Riffs durch die Boxen. Die Mischung aus Eingängigkeit, Härte und Melancholie sollte man normalerweise nur Gothic Metal Bands attestieren, aber hier wird es halt in authentisch härter abgeliefert. Wie auch immer man diese melancholischen Melodien bei `Sorry Mr. Pain` aus dem Ärmel schüttelt ist mir ein Rätsel, aber es funktioniert auch über 20 Jahre nach der Veröffentlichung immer noch sehr gut. `Kotze` überspringe ich jetzt mal bewusst (halt ein Lückenfüller mit Brecheinlagen), ehe das Riffmonster `Rusty Cells` die Nackenmuskeln schnell an die Belastungsgrenze bringt. Der Rausschmeißer `Mother Salvation`hätte nicht passender gewählt sein können und beschließt das Album mehr als würdevoll.

„Electric Scum“

Ganze 2 Jahre sollten ins Land ziehen, ehe es ein neues Lebenszeichen geben sollte. Man hatte DEPRESSIVE AGE abgelegt und sich in D-AGE umbenannt; Grund dafür könnte die Umkehr zum modernen Sound sein. Statt eingängiger Melancholie, gibt es technisch packende Riffs aufs Tablett, was gleich beim Opener durch tonnenweise Keyboardeffekte klar wird. Muss nicht jedem gefallen, aber die Durchschlagkraft ist ungebrochen. `Cairo Crabat` konzentriert sich auf die Kernkompetenzen der Band; eingängige Riffs, packender Gesang und tightes Schlagzeug. Die Umbenennung ist mehr als berechtigt, denn Melancholie hat Ausgang und es herrscht in erster Linie der Arschtrittfaktor, der aber sehr gut funktioniert. `Remember` ist vom Text her noch recht leichte Kost und auch musikalisch sehr lässig durch die Boxen geflutet, während `Teenage Temples` mit seinen Riffs der damaligen Grunge Szene den Mittelfinger ins Gesicht streckt.  Mit `Small Town Boy` haben D-AGE meiner Meinung nach eine sehr gute Coverversion hingelegt, die bis heute zu meinen Lieblingen gehört. Apropos Lieblinge: `Featherflute` ist immer wieder Stammgast meiner Repeat-Taste, denn die Vocals hämmern sich einfach zu schnell ins Langzeitgedächtnis, während die knackigen Riffs und unterstützenden Synthesizer den Rest erledigen. `Ich muss zugeben, dass ich `Toyland Hills` bis heute lediglich als durchschnittlichen Song wahrnehme, und mit dem spanisch angehauchten `Compañero Song` nichts anfangen kann. Ganz anders sieht es mit `New Machine Wisdom` aus, das quasi eine moderne Antwort auf `Lying in Wait` sein könnte; stampfende Riffs antworten auf melancholische Ansätze und werden durch eingängige Gesangslinien im Keim erstickt. Klingt seltsam, funtkioniert aber sehr gut. `Polar Athletic Son` dürfte sowohl Anhänger von End of Green und Paradise Lost gleichzeitig aufhorchen lassen, denn die Gesangsleistung versprüht hier ein ähnliches Charisma. Moderner Sound, weniger Härte aber gleichzeitig energiegeladen präsentiert sich `Weird Boy`, ehe man mit `Sport Yells` ein industrialgeschwängertes Aufbäumen raushaut, das für viele Jahre das letzte Lebenszeichen sein soll.

Zurück ins Jahr 2023: Der langersehnte Auftritt im Mai auf dem Rock Hard Festival in Gelsenkirchen war definitiv eine klare Ansage an die Fans. Wir berichteten seinerzeit:

Da sind sie nun wieder, nach 26b Jahren. Man fragt sich, ob ein Live-Auftritt nach über 20 Jahren Abstinenz Sinn macht. Könnte generell ein zweischneidiges Schwert sein, wenn man nicht DEPRESSIVE AGE heißen würde und auf eine kurze, aber sehr abwechslungsreiche Diskographie zurückblicken würde. Damals als Geheimtipp, mittlerweile im Kultstatus angekommen, erwartet eine große Menschentraube den langersehnten Auftritt. Die ersten Klänge von „Rusty Cells“ dienen als Intro, ehe man sich mit „Lying in Wait“ direkt ins Set schmeißt. Der Spannungsbogen funktioniert und man spielt sich schnell auf Betriebstemperatur. Der Bass (Mario Prause) flitzt über die Bühne, an den Gitarren (Jochen Klemp und Marcus Marth) fliegen die Matten und gesangstechnisch klingt es so, als wäre Jan Lubitzki niemals wirklich weg gewesen. Das überträgt sich auch im Laufe des Sets aufs Publikum und so treffen Granaten wie „Berlin“  und „World in Veins“ schnell auf fruchtbaren Boden. Zum Glück haben DEPRESSIVE AGE damals schon zeitlose Stücke geschrieben und so knallt „Cairo Crabat“ mit ungebremster Durchschlagskraft in die feierwütige Menge. Auf der Bühne hat man Bock, das spürt man zu jeder Sekunde des Auftrittes. Wer hätte gedacht, dass „Electric Scum“ live sehr viel geiler klingt, als auf Platte? Mit „War“ präsentiert man zusammen mit Postmortem Sänger „Putz“ einen neuen Song, der eine weitergedachte Version von „Eternal Twins“ ist und sehr gut ins Live-Set passt. Das macht definitiv neugierig auf mehr! Einmal „Innocent in Detention“ live hören und die beklemmende Knastatmosphäre spüren? Wird geliefert, inklusive Gänsehautfaktor. Mit „Eternal Twins“ beschließt man den knapp 50minütigen Auftritt, der viel zu kurz war. War der Auftritt perfekt? Nein, das nicht – man hatte kleine Soundprobleme, es gab den einen oder anderen minimalistischen Verspieler und einige Fans beklagten (auf sehr hohem Niveau) den einen oder anderen Gesangspart. Aber mal Hand aufs Herz: Hier wurde mit Herzblut und Leidenschaft gespielt, man hatte eine extrem gute Setlist und das Adrenalin und die Gänshaut haben sich hier die Klinke in die Hand gegeben. Es braucht keinen perfekten  Auftritt, sondern einen emotionalen Auftritt, der uns lange Zeit im Gedächtnis bleibt. Das haben DEPRESSIVE AGE hier sehr gut geschafft und viele Fans haben noch lange nach dem Konzert geschwärmt, was für ein geiler Abriss das gewesen ist! Das nächste Mal bitte als Headliner und gerne auch mit neuem Album im Gepäck; der Rest ist verbrannte Erde und es verbleibt ein Wohlgefühl als auch ein Dauergrinsen.

Im Videobeitrag des WDR konnte man auch einige Hintergrundinfos zur Reunion erfahren:

WDR ROCKPALAST – INTERVIEW DEPRESSIVE AGE

Es bleibt weiterhin spannend. Mit ihrem zeitlosen Sound treffen DEPRESSIVE AGE genau den Nerv der Zeit und bekommen hoffentlich endlich die wohlverdiente Aufmerksamkeit. Aktuell formiert sich die Band aus den beiden Gründungsmitgliedern Jochen Klemp (Gitarre) und  Jan Lubitzki (Gesang), als Bassist gesellte sich Mario Prause (Punishable Act / ex Solar Flares) dazu und an der zweiten Gitarre finden wir Marcus Marth, der vielen sicherlich als Gitarrist der Berliner Band Postmortem bekannt ist und natürlich der „Herr Brakel“ des legendären Brutz & Brakel in Berlin ist. Die Felle bearbeitet Nihil Baxter (Quasimodo u.a.), der spielerisch schon bei den ersten Auftritten einschlug wie Bombe. 

Wer die Band noch in diesem Jahr live erleben möchte, hat hierzu Chance auf dem WACKEN OPEN AIR am Freitag, den 04.08.2023 (Spielzeit 16.00 Uhr, Headbangers Stage) oder aber auf dem ALCATRAZ in Belgien am Sonntag, den 13.08.2023 (Spielzeit: 22:00 Uhr, La Morgue Stage) sowie beim STORM CRUSHER Festival (07.09.-09.09.2023 in 92715 Püchersreuth). Auch für 2024 heuerte die Band bei den 70000 Tons of Metal an und finden sich nunmehr im Line-Up wieder (Zeitraum 29.01.-04.02.2024).  

Sebastian Radu Groß

(stellv. Chefredakteur NIC – NordMensch in Concerts)