Interviews

Dirkschneider im Interview – Jubiläum eines Meilensteins

„Balls To The Wall“ sollte zumindest den älteren Semestern unserer Leserschaft ein Begriff sein. Immerhin handelt es sich bei dem Ende 1983 veröffentlichten Accept-Album um einen der größten Meilensteine der Musikgeschichte. Zum vierzigsten Jubiläum präsentiert Originalsänger Udo Dirkschneider mit seiner Band das gesamte Werk auf ausgiebiger Welttournee und hat das Album unter Mithilfe befreundeter Gastsänger komplett neu eingespielt. Wer auf der „Balls To The Wall Reloaded“ getauften Scheibe so alles am Start ist und was im Bandlager derzeit abgeht, erzählen der Metalgott sowie sein trommelnder Sohnemann Sven im folgenden Gespräch.

Hallo ihr beiden! Schön, euch zu sehen. Wie geht´s euch?

Udo: Hallöchen! Alles gut soweit. Ich leide noch etwas unter dem Jetlag.

Sven: Hi René! Hier ist auch alles bestens. Bei dir hoffentlich auch?

Alles prima! Ihr kommt ja gerade von der 70.000 Tons Of Metal Cruise in Florida. Wie war´s?

Udo: Das war auf jeden Fall super! Gut, dass wir da noch kurzfristig reingerutscht sind.  

Dort spielt man ja in der Regel zwei unterschiedliche Sets, oder?

Udo: Genau! Wir haben einmal auf dem Pooldeck und einmal im sogenannten Theater gespielt. Ich glaube, dass wir die Leute gut bedient haben. Zumindest herrschte permanent eine Wahnsinns-Stimmung.

Das freut mich! In diesem Gespräch soll es aber hauptsächlich um das „Balls To The Wall Reloaded“-Album gehen. Wie und wann seid ihr denn auf die Idee gekommen, die Scheibe in der nun vorliegenden Form erneut einzuspielen?

Udo: So richtig geplant war das zunächst eigentlich nicht. Diverse Leute aus dem Business und auch befreundete Musiker haben uns auf Festivals oder bei einzelnen Shows gefragt, ob wir zum vierzigsten Jubiläum von „Balls To The Wall“ irgendetwas Spezielles machen wollen. Damals hatten wir schon eine Tour, auf der wir das Album am Stück spielen wollten, im Auge, mussten dieses Vorhaben jedoch verschieben, weil im angedachten Zeitraum bereits ACCEPT unterwegs waren. Gleichzeitig loszuziehen, wäre aber doof gewesen. Häufig kamen dann Leute von anderen Bands und meinten: „Geile Idee! Da würde ich gerne mal einen Song mitsingen!“ Als sich solcherlei Anfragen vermehrten, begannen wir darüber nachzudenken, ob es Sinn ergeben würde, die Scheibe nochmal neu aufzunehmen. Nur mit mir als Sänger wollten wir das aber nicht machen. Eine heilige Kuh sollte man einfach nicht anfassen, wenn du weißt, was ich meine? Das ist immer ziemlich gefährlich (lacht)! Dann kam ganz schnell die Idee auf, jeden Song mit einem Gastsänger zu präsentieren.

Also sind die beiden Ideen, eine Jubiläums-Tour zu machen und das Album neu einzuspielen, nicht gleichzeitig entstanden?

Sven: Die Tour war schon etwas länger geplant. Durch Covid haben sich aber sämtliche Vorbereitungen verschoben, sodass wir das leider nicht zum exakten Zeitpunkt des Jubiläums durchziehen konnten. Ich denke aber, dass das den Leuten im Nachhinein egal ist. Immerhin zelebrieren wir hier eines der wichtigsten und bedeutendsten Alben der Metal-Geschichte. Ich glaube, da freuen sich die Fans drauf. Das haben wir auch auf der Cruise gemerkt, als wir „Balls To The Wall“ beim zweiten Set komplett aufgeführt haben. In Südamerika waren wir ja schon mit der Tour zugange. Da herrschte einfach eine ganz besondere Stimmung.

Wie erfolgte die Auswahl der Sänger? Habt ihr euch die Leute ausgesucht oder kamen die von sich aus auf euch zu?

Sven: Logischerweise hatten wir erstmal eine lange Liste mit Wunschkandidaten. Natürlich schaut man zunächst bei alten Weggefährten, wie in diesem Fall Biff Byford (Saxon), Doro Pesch, Dee Snider (Twisted Sister) oder Joakim Brodén von Sabaton. Das sind alles Leute, mit denen wir – oder besser gesagt mein Dad – schon oft auf Tour waren. Es standen auch noch jede Menge andere Namen auf der Liste, aber bei solch großen Projekten ist das am Ende des Tages alles ein riesiger Akt der Organisation. Die einen sind gerade im Studio, die anderen gerade auf Tour, oder was auch immer. Irgendwann muss man jedoch mal starten und den ganzen Kram koordinieren. Ich denke aber, schlussendlich hat das sehr gut funktioniert, da wir tolle Ergebnisse erhielten und mit allen Beiträgen hochzufrieden sind. Uns war es aber sehr wichtig, dass die einzelnen Leute auch Spaß daran haben. Es ging uns absolut nicht darum, bei den Gästen zu betteln, dass sie unseren Song singen. Eigentlich haben alle gesagt, dass sie gern eine eigene Interpretation des jeweiligen Stückes machen wollten und somit mit vollem Eifer dabei waren. Ich denke, das hört man den Liedern auch an. Meiner Meinung nach sind da ganz großartige Versionen dabei. Wir haben übrigens so gearbeitet, dass die Sänger immer den kompletten Song eingesungen haben. Es gab da keinerlei Vorgaben in der Art: „Sing mal Strophe zwei oder Satz Nummer vier etc.“ Am Ende konnten wir dann gemeinsam mit den Sängern entscheiden, welche Variante cool ist und verwendet werden soll.

Haben sich die Gastsänger den jeweiligen Song selbst ausgesucht oder habt ihr die Stücke zugeteilt?

Udo: Wir hatten da schon konkrete Ideen, welcher Song zu welchem Sänger passen könnte. Als beispielsweise feststand, dass Doro dabei ist, war klar, dass sie „Winterdreams“ übernimmt. Das passt ja wie Arsch auf Eimer, wie man so schön sagt (lacht)! Für den Titelsong stand Joakim von Sabaton auch ziemlich schnell fest. Dafür war ursprünglich Till Lindemann von Rammstein geplant. Der war jedoch leider durch eine Knie-OP verhindert. Bei „Losers And Winners“ kam uns sofort Dee Snider in den Sinn, was sich als perfekte Wahl herausgestellt hat. „Losing More Than You´ve Ever Had“ gestaltete sich da etwas schwieriger, aber ich meinte dann: „Wenn das einer vernünftig hinbekommt, dann der Kiske!“ Der war sich zunächst völlig unsicher und hat sich das erst gar nicht zugetraut. Ich finde aber, dass er das toll gemacht hat und der Song völlig zu ihm passt. Oder nimm „Guardian Of The Night“. Das Stück ist doch prädestiniert für Tim „Ripper“ Owens. Im Endeffekt hat das alles wunderbar funktioniert.

Da hast du zufällig auch meine drei Highlights der Scheibe genannt. Die Kiske-Version finde ich wirklich herausragend. Klasse, wie er seinen eigenen Stil mit eingebracht hat. Seid ihr eigentlich zu ACCEPT-Zeiten mal mit Helloween zusammen aufgetreten?

Udo: Nee! Ich habe tatsächlich noch nie mit den Jungs zusammengespielt. Auf irgendeinem Festival in Spanien standen wir auf demselben Billing, spielten aber an unterschiedlichen Tagen. Da haben wir uns nur hinten an der Bar getroffen (lacht). Wir sind aber gut miteinander befreundet.

Sven: Da war der Michael Kiske aber gar nicht mit dabei. Das war noch vor deren „Pumpkins United“-Reunion-Tour. Auf dem Masters Of Rock-Festival in Tschechien sind wir uns aber oft über den Weg gelaufen. In Hamburg hat man sich hier und da mal gesehen. Da gab es also schon reichlich Berührungspunkte.

 Vor drei Jahren solltet ihr ja eigentlich im Vorprogramm von Helloween touren, aber leider hat euch Corona da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Gibt es eventuell Überlegungen, die Sache nochmal anzusetzen?

Udo: Im Augenblick ist nichts Derartiges geplant. Aber man weiß ja nie wie´s kommt.

 Das wäre auf jeden Fall eine erstklassige Kombination. Der Beitrag von Dee Snider ist ebenfalls einer der Höhepunkte, finde ich. Hattest du mit dem schon Kontakt während der ACCEPT-Ära?

Udo: Ja, wir waren damals mit Twisted Sister unterwegs. Die spielten sogar bei uns im Vorprogramm. Später haben wir uns dann auf Festivals unzählige Male getroffen. Ich würde das jetzt nicht als tiefe Freundschaft bezeichnen, aber wir mögen uns (lacht)! Laut eigener Aussage ist er ein absoluter Fan und von daher passt seine Beteiligung hervorragend.

Besteht eine Chance, dass man den einen oder anderen Gastsänger gemeinsam mit euch auf der Bühne erleben kann?

Udo: Wir versuchen es auf jeden Fall! Es gibt aber noch keine konkreten Planungen.

Sven: Bei der 70.000 Tons Of Metal-Cruise hatten wir Joacim Cans von Hammerfall bei „Head Over Heels“ mit auf der Bühne. Der war übrigens auch für „Balls To The Wall Reloaded“ eingeplant, aber das hat leider aus Zeitgründen nicht geklappt. Eine Live-Beteiligung der Gastsänger steht und fällt größtenteils damit, ob sie verfügbar sind. Die meisten sind ja selbst häufig auf Tournee, und dann wird´s natürlich schwierig. Wir versuchen aber definitiv, ein paar Gäste ran zu bekommen.

Von Hammerfall gibt es ja bereits eine Studioversion von „Head Over Heels“, bei der du mitgesungen hast.

Udo: Genau. Das ist aber schon steinalt. Die Version hat locker schon über zwanzig Jahre auf dem Buckel! Das Einsingen hat damals aber tierisch viel Spaß gemacht und das Ergebnis ist echt gut geworden.

 Die meisten „Balls To The Wall“-Songs hattet ihr ja schon in den regulären DIRKSCHNEIDER-Sets. Songs wie „Losing More Than You´ve Ever Had“ oder „Guardian Of The Night“ waren bisher noch nicht dabei. War es schwer, sich die Stücke wieder drauf zu schaffen, oder hast du die automatisch drin?

Udo: „Losing More Than You´ve Ever Had“ hatten wir tatsächlich noch nie live gespielt, auch mit ACCEPT nicht. „Guardian Of The Night“ war damals für zwei Abende im Programm, wenn ich mich recht erinnere. Was den Gesang anbelangt, war ich im Studio schon ein bisschen nervös. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich noch alle Töne treffe (lacht). Es hat aber alles bestens funktioniert. Da war ich selbst etwas überrascht. Im Prinzip haben wir uns bei den Neueinspielungen Eins zu Eins an die Originale gehalten. Soundmäßig hat sich natürlich einiges verändert. Das liegt auch an den veränderten beziehungsweise weiterentwickelten Aufnahmemöglichkeiten. Da wollten wir jetzt nicht unbedingt zu einhundert Prozent einen auf Vintage machen und schon irgendwie den aktuellen Hörgewohnheiten entsprechen. Bis auf das Solo in „Losing More Than You´ve Ever Had“ haben wir aber absolut nichts verändert.

Leider habe ich keine Informationen, wo ihr das Album aufgenommen habt. Ich gehe aber mal stark davon aus, dass Stefan Kaufmann wieder involviert war, oder?

Udo: Ja, klar! In Stefans Studio wurde das Schlagzeug eingespielt und mein Gesang aufgenommen. Die Gitarren haben die Jungs jeder für sich zuhause eingespielt.

Sven: Mit Stefan, Peter und Udo ist natürlich ein Großteil des originalen Line-Ups vertreten, was ein unglaublicher Vorteil für die ganze Sache ist. Ich hatte natürlich die große Ehre, dass mir Stefan original am Drumset zeigen konnte, wie er die Sachen früher gespielt hat. Ich finde, diesbezüglich sollte man die Songs auch nicht verändern. Du kannst beispielsweise nicht einfach mittendrin ein Ride-Pattern spielen, was vorher nie da war. Ich versuche mich bei den ACCEPT-Songs prinzipiell immer sehr konsequent an das Original zu halten. Natürlich irgendwo immer mit einer eigenen Note. So ging es den Gitarristen aber auch.

Wie du schon gesagt hast, ist mir beim Album und auch bei den DIRKSCHNEIDER-Shows aufgefallen, dass ihr an den Arrangements so gut wie nichts verändert habt. Die Drumparts spielst du nahezu identisch, und ich finde es bemerkenswert, wie du Stefans Stil hinbekommst, ohne wie eine reine Kopie zu wirken. Das macht auch sehr viel von den Songs aus, finde ich.

Udo: Da hast du absolut Recht!

Sven: Vielen Dank für das Lob! Es steckt zwar keine Schlagzeuger-DNA in mir, aber dafür ganz viel ACCEPT (lacht)!

Du wurdest ja geboren, als dein Vater bereits zum zweiten Mal mit ACCEPT durchgestartet ist. Hast du dich mit den Scheiben deines alten Herrn schon beschäftigt, als du begonnen hast, dich aktiv oder bewusst für Musik zu interessieren oder kam das erst nach deinem Einstieg bei U.D.O.?

Sven: Als ich noch ganz klein war, war ich sehr gut mit dem Julien Freund befreundet. Das ist der Sohn vom Dieter Dierks, in dessen Studio ja etliche ACCEPT-Alben produziert wurden. Dort haben wir als Knirpse ganz oft rumgehangen. Aus der Zeit gibt es noch ein Video, wo Julien mit einer Gitarre und ich im Tarnanzug mit Mikrophon bewaffnet im Wohnzimmer meiner Eltern „Metal Heart“ nachahmen. Das ist auch der Song, der ganz tief in mir drin ist. Jedes Mal, wenn ich den live spiele, ist das der reinste Gänsehaut-Moment! Als ich dann mit dem Schlagzeug spielen angefangen habe, waren so Sachen wie Rammstein angesagt. Ich kann mich noch erinnern, dass ich mit einem Kumpel immer den Song „Sonne“ nachgespielt habe. Kurz darauf kam diese riesige Pop-Punk-Welle aus den USA mit Bands wie Sum 41, Blink 182 etc. rüber geschwappt, die mich ziemlich begeisterten. Das ganze Zeug habe ich dann ausgiebig mit meiner damaligen Coverband nachgespielt. Als ich dann mit und für Bands unterwegs war, kam der Dreh zurück zum klassischen Hardrock und Heavy Metal, auch bedingt durch die zahlreichen entsprechenden Festivals. Zwischendurch gab es aber noch eine extreme Phase mit Bands wie Slipknot, Finntroll oder Children Of Bodom. Daran war aber meine Schwester schuld (lacht)! Als ich dann bei U.D.O. eingestiegen bin, war aber eher unser Produzent Matte mein Mentor, der damals auch die Alben gemacht hat und zudem ein ganz fantastischer Schlagzeuger ist. Von ihm konnte ich ganz viel in Sachen Studioarbeit lernen. Dann ging irgendwann die Sache mit dem DIRKSCHNEIDER-Projekt los, und da habe ich mich natürlich sehr oft mit dem Originaldrummer Stefan kurzgeschlossen. Natürlich steckt da auch ganz viel Üben drin.

Ich kann mich noch an eine mehrteilige TV-Doku über U.D.O. erinnern, bei der man sehen konnte, wie dir Stefan dieses prägnante Break von „Metal Heart“ erklärt hat.

Sven: Genau! Das Break war eigentlich ein Fehler, der aber so gelassen wurde. Diesen Fehler kann dir halt nur der Originaldrummer so hundertprozentig zeigen. Oder nimm den 16tel Hi-Hat-Part bei „London Leatherboys“. Den würde jeder Drummer automatisch zweihändig spielen. Stefan hat das mit nur einer Hand gespielt. Er meinte: „Wenn du willst, dass es richtig klingt, dann spiel´s einhändig!“ Dann sitzt du erstmal da und denkst: „Wie zur Hölle hat der das gemacht?“ (lacht) Das ist halt Übungssache und man muss eben die entsprechenden Stunden investieren. Nach unserer Show auf der Full Metal Cruise kam der Kreator-Trommler Ventor auf mich zu und meinte: „Ich finde es echt geil, dass du den Songs genau das gibst, was sie brauchen!“ Sowas freut mich natürlich sehr. Das ist aber auch mein Anliegen, weil es sonst einfach nicht richtig klingt.

Bleiben wir gleich bei „Metal Heart“. Zum fünfunddreißigsten Jubiläum wollte ihr eigentlich eine spezielle Show in Wacken machen, die aber der Pandemie zum Opfer fiel. Wird das eventuell noch nachgeholt? Vielleicht zum Fünfzigsten?

Udo: Ja, das wärs (lacht)! Wir könnten dieses Jahr zum Vierzigsten nahtlos an die „Balls“-Tour anschließen, aber ich denke, das lassen wir lieber sein. Bei den DIRKSCHNEIDER-Gigs spielen wir ja eh etliche Songs der Scheibe. Da dürften nicht mehr viele fehlen. Man muss auch aufpassen, dass man sich mit so einer Masche nicht totläuft. Irgendwann denken die Leute bestimmt, dass einem nichts mehr einfällt.

Sven: Ich glaube, da besteht auch gar kein großes Interesse daran. U.D.O. ist mit der letzten Scheibe „Touchdown“ so erfolgreich gelaufen, dass wir uns lieber in diese Richtung weiterentwickeln wollen.

Gibt es denn schon Pläne für ein neues U.D.O.-Album?

Sven: Wir arbeiten parallel fleißig an neuen Songs. Bekanntlich stehen wir ja nie still!

 Da bin ich schon sehr gespannt drauf! Ich hätte noch ein paar Fragen zum originalen „Balls To The Wall“-Album. Ist das okay für dich, Udo?

Udo: Ja klar! Kein Problem. Schieß los.

Mich würde mal interessieren, ob es sich bei dem Model auf dem Frontcover um ein Bandmitglied handelt?

Udo: Nee (lacht)! Das war ein Boxer, den wir sozusagen als „Mädchen für alles“ mit auf der Tour dabeihatten. Der war als Masseur tätig oder als Security und so weiter. Das ganze Konzept der Scheibe inklusive des Coverartworks muss man komplett unserer damaligen Managerin Gaby Hauke zuschreiben. Die hatte da ganz genaue Vorstellungen im Kopf, die auch ganz gut funktioniert haben.

Die Gaby steht ja auch immer unter dem Decknamen Deaffy als Texterin auf euren Alben. Hat sie die Lyrics ganz allein verfasst, oder warst du auch involviert.

Udo: Ich sag mal so: Wir haben zwar gemeinsam über die Textideen gesprochen, aber mein damaliges Englisch war nicht gut genug, um vernünftige Texte zu schreiben. Zu dieser Zeit hatte Gaby das deutlich besser drauf, als irgendjemand anderer aus der Band.

Wie lief das mit dem Komponieren der Musik? Da hört man irgendwie unterschiedliche Meinungen. Der Herr Hoffmann behauptet ja oft, dass er der alleinige Songwriter bei den alten ACCEPT war. Ich habe aber auch schon öfter gelesen, dass eher Stefan und du die Hauptsongwriter waren.

Udo: Also beim „Balls To The Wall“-Album stammt ganz viel vom Stefan. Insgesamt ist die Scheibe aber wirklich durch gemeinsames Arbeiten entstanden. Jeder hat seinen Teil dazu beigetragen. Das ist heute im Prinzip nicht anders. Auf neue Riffideen singe ich erstmal irgendwelche „Hänschen-Klein“-Texte, damit ich irgendwie eine Gesangsmelodie entwickeln kann. Im Anschluss arbeite ich mit Sven dann an richtigen Texten. Da werden viele unterschiedliche Sachen ausprobiert, bis irgendwas passt. Wichtig ist dabei, offen für alles Mögliche zu sein. Selbst aus der scheinbar blödesten Idee kann was Großartiges entstehen. Grundvoraussetzung ist aber, dass ich mich damit wohlfühle. So ist das damals auch gelaufen. Peter war bei „Balls“ auch ein ganz wichtiger Faktor. Der hat gemeinsam mit Stefan die ganzen Songs arrangiert. Damit hatte Wolf zum Beispiel weniger zu tun. Er kam halt mit den meisten Riffs an, aber das Ganze in Form zu bringen, war das Spezialgebiet von Stefan und Peter. Unser damaliger Produzent Louis Austin hatte aber auch großen Anteil am Gelingen der Scheibe. Der hat sich beispielsweise darum gekümmert, dass meine Aussprache auch dem Englischen entspricht (lacht). Das waren damals ganz große Lernprozesse für uns. Wir waren ja noch relativ jung und wussten eigentlich noch gar nicht so genau, wohin wir eigentlich wollen. Man hat aber ganz schnell gemerkt, dass die ganze Sache irgendwie rund beziehungsweise stimmig war. Da passte alles zusammen. Dass die Scheibe dann so ein großer Erfolg werden würde, hätte damals keiner für möglich gehalten. Als die in den USA rauskam, lief die praktisch über Nacht bei 120 Radiostationen. Ich denke, das Album kann man guten Gewissens als Meilenstein bezeichnen.

Das war euer weltweiter Durchbruch, oder?

Udo: Auf jeden Fall! Im Prinzip waren wir mit der Scheibe drei Jahre lang in Amerika unterwegs. Zwischendurch sind wir immer mal wieder für kleinere Touren oder Festivals nach Europa gekommen, aber die Songs für den Nachfolger „Metal Heart“ haben wir komplett in den Staaten komponiert. Bis 1986 lebten wir tatsächlich hauptsächlich in den USA und waren dort sehr erfolgreich. Als man das dann irgendwann in Deutschland mitbekam, war man plötzlich auch in der Heimat stolz auf uns (lacht). Das war so ähnlich wie bei den Scorpions. Das ist auch immer mal wieder Thema, wenn wir uns treffen. Alte Leidensgenossen, sozusagen.

Beim Song „Losers And Winners“ gibt es im Mittelteil so eine Art Chorgesang beziehungsweise Shouting. Was singt ihr da eigentlich? Zu dieser Passage ist nirgends ein Text abgedruckt.

Udo: Ich kann dir sagen, was wir da singen: Hans Sachs!

Ernsthaft?

Udo: Hahaha! Ja, wirklich. Aber frag mich nicht, wieso! Man könnte auch „Hot Socks“ singen, oder so. Es weiß aber kein Mensch mehr, wie wir da drauf gekommen sind. Wir haben das einfach so gelassen.

Ich glaube, ab jetzt höre ich das Stück mit anderen Ohren. Deine ex-Band hat mal eine Zeitlang live bei dieser Stelle „Accept“ gesungen.

Udo: Das kann man auch machen. Würde gut passen. Da kann man viele Variationen einbauen.

Damit wäre ein großes Mysterium gelöst. Ein weiteres birgt für mich der Titelsong. Nach dem Solo taucht für wenige Sekunden so ein seltsames Geräusch auf, was wie ein Knacken oder Zerbrechen klingt. Was soll das darstellen und wie habt ihr das fabriziert?

Udo: Das habe ich mit meinen Zähnen gemacht. Heute geht das leider nicht mehr. Damals habe ich irgendwie meine Beißerchen aneinander gerieben, aber was das bedeuten sollte, kann ich dir auch nicht mehr sagen. Ich glaube, das habe ich unbewusst gemacht und irgendwie fanden wir das cool. Manchmal macht man einfach irgendwelche ungeplanten Sachen. Lass uns mal beispielsweise ein Album zurückgehen. Beim „Restless And Wild“-Opener „Fast As A Shark“ gibt es ja dieses Heidi-Heido-Heida-Intro. Während der Aufnahmen des Albums kam die Mutter unseres Produzenten Dieter Dierks mit einer Single an und meinte: „Guckt mal, hier hat der Dieter als 10jähriger ein deutsches Volkslied gesungen.“ Das finden wir so geil, dass wir das direkt als Intro verwendeten. Um einen cooleren Effekt zu erzeugen, haben wir die Platte dann beim Abspielen noch schön zerkratzt, was Frau Dierks allerdings nicht so toll fand (lacht).

Auf den Fotos im Innersleeve ist der heutige Victory-Boss Herman Frank zu sehen. Ist er auf dem Album auch zu hören, oder gehörte er nur zur Livebesetzung?

Udo: Ich glaube, ich muss da jetzt mal eine Lanze für den Herman brechen. Der hat ganz viel aufgenommen, ist letztendlich aber nur mit einem kurzen Solo bei „Losers And Winners“ zu hören. Das tut mir echt leid! Der Rest wurde wieder entfernt. Mehr möchte ich dazu aber nicht sagen. Ich will hier keine bösen Geschichten auftischen.

Nach den Aufnahmen war wieder euer alter Gitarrist Jörg Fischer dabei.

Udo: Genau. Die letzte Deutschland-Show der „Balls“-Tour fand an Weihnachten 1983 statt. Zu dem Zeitpunkt war schon klar, dass man Herman nicht mehr dabei haben wollte und hat den Jörg zurück geholt. Der hat dann die komplette US-Tour mit uns durchgezogen.

Leider hört man von Herrn Fischer überhaupt nichts mehr. Hast du eine Ahnung, ob er noch musikalisch aktiv ist?

Udo: Das weiß kein Mensch. Ich glaube, der lebt in den USA. Aber ich habe keine Ahnung, was der so treibt.

Deine ex-Band feiert ja demnächst fünfzigstes Jubiläum. In der Presse tauchten schon diverse Gerüchte auf, dass es zu diesem Anlass eine Tour geben soll, bei der du und Peter auch mit auf der Bühne stehen sollen. Ist da was dran?

Udo: Da weiß ich nichts von, und da werde ich auch nicht auftauchen. Völlig ausgeschlossen! Zu der ganzen Sache möchte ich mich lieber nicht äußern.

Akzeptiert. Eine letzte Frage habe ich allerdings noch: Da der Peter ja jetzt fest an Bord ist, wäre es da vielleicht denkbar, den Song „Crossroads“ vom „Predator“-Album mal mit ins Liveprogramm zu nehmen? Den Song finde ich absolut klasse.

Udo: Der war sogar schon mal im Gespräch für die Tour. Wir fangen allerdings erst in den nächsten Tagen damit an, uns konkret um die Setlist zu kümmern. Vielleicht geht da was. Ist auf jeden Fall ein schönes Duett zwischen Peter und mir. Mal gucken. Never say never (lacht)!

Würde mich sehr freuen. Vielen Dank für das interessante Gespräch. Ich wünsche euch alles Gute und viel Erfolg mit der Tour und dem Album.

Sven: Alles klar! Vielen lieben Dank!

Udo: Wir sehen uns in Leipzig! Mach´s gut!

Redakteur: René Jauernik

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