CD Reviews

BLIND GUARDIAN – „LEGACY OF THE DARK LANDS“

Kann ein Klassik Album funktionieren? Das Konzept Rock/Metal mit einem Orchester zu kombinieren ist nicht neu. Waltari, Metallica und andere taten es bereits vorher und zeigten, dass es funktionieren kann. Ganze 20 Jahre brüteten BLIND GUARDIAN über ihr Orchester Album. Immer wieder schimmerte die Ankündigung zwischen den letzten Veröffentlichungen hindurch, aber es gab nichts Konkretes. Tatsächlich beeinflusste die Entstehung von „Legacy Of The Dark Lands“ die Bandentwicklung bereits seit 2002, ohne die es Songs wie beispielsweise `And Then There Was Silence` nicht gegeben hätte. Die orchestralen Elemente hielten immer mehr Einzug im Songwriting und rangen mit den ehemals legendären Speed Metal Attacken um die Vorherrschaft, was nicht immer leicht für die Fans war. Letzten Endes gehen die Krefelder Barden ihren Weg unbeirrt von jeglicher Erwartungshaltung weiter und lassen mit ihrem aktuellen Album (endlich) die Katze aus dem Sack.

Das Intro `1618 Ouverture` fließt herrlich atmosphärisch aus den Boxen und lässt ansatzweise erahnen, was da auf einen zurollt. Mutig schiebt man die Textpassage `The Gathering` hinterher, ehe mit `War Feeds War` das erste „richtige“ Stück beginnt. Bereits die ersten Klänge katapultieren in eine riesige Konzerthalle und gleichzeitig in eine Parallelwelt, dessen Soundtrack den Hörer liebevoll durch Gänsehautpassagen und epische Momente führt. Hansis Stimme ist hier klar die Orientierung für die Fans und das Songwriting holt mich auch ohne Gitarren direkt da ab, wo ich als Guardian Fan stehe. Bedrohliche und versöhnliche Momente wechseln sich in dem Stück gleichermaßen ab und hinterlassen ein Gefühl der Hoffnung inmitten eines Schlachtfeldes der verlorenen Seelen. Für die ersten Klänge von `Dark Cloud´s Rising` hätte Peter Jackson sich beim Herr der Ringe Soundtrack die Finger geleckt, ehe der Refrain in das so geliebte Guardian (Gänsehaut) Feeling mündet. „What The future holds, the star may know“ erschallt es aus den Boxen, und man hat spätestens jetzt die Außenwelt komplett ausgeblendet und staunt ehrfürchtig, wie zielsicher man hier mit den orchestralen Elementen durch das Songwriting führt.

Der Eindruck verstärkt sich im Laufe des gesamten Albums und hat noch sehr viel zu bieten; mit einem Durchlauf ist es nicht getan und man möchte sich am liebsten mit dem Album längere Zeit einkerkern, um es in aller Ruhe in seiner ganzen Schönheit zu erkunden. Der fröhliche Beginn von `The Great Ordeal`catcht direkt und steigert sich herrlich, um in seiner gesamten Pracht verschiedene Facetten in die Hirnrinde zu schmieden. Das finstere `In The Red Dwarf´s Tower`besticht unter anderem mit seinen Chören, während `Point Of No Return`sämtliche Synapsen zum Schmelzen bringt. Mal im ernst, wenn die Krefelder auch nur ansatzweise so viel Spaß beim Schreiben dieses Songs hatten, wie ich beim Hören, kann ich die letzten 20 Jahre sehr gut verstehen.`Nephilim` marschiert stolz aus den Boxen, während `Harvester Of Souls` eher der finstere Geselle ist. Obwohl `Conquest Is Over`lediglich ein Intermezzo ist, wirft es mich als Rollenspieler mit seinen elegischen Klängen atmosphärisch in die Spielwelt von Dark Souls und beweist, das bereits der minimale Einsatz von Instrumenten, das Maximum raus kitzeln kann.`This Storm` wurde bereits im Vorfeld als Lyric Video veröffentlicht und zum Ende des Albums wartet man mit einer Überraschung auf; statt es im opulenten Orchester Sound zu ersticken, hat man sich für eine ruhigere und doch fordernde Variante entschieden; `Beyond The Wall` wird mit Hansis eher untypischen, tieferen Vocals eingeleitet und besticht vor allem durch seine Chöre. Es ist eine andere Art ein Album zu beenden, die mir sehr gut gefällt, weil man etwas bekommt, was man nicht erwartet hat und sich gleichzeitig sehr darüber freut.

 

Bereits die ersten Infohäppchen und Videos ließen erahnen, dass es teilweise ein Heimspiel wird, denn das Album ist sowohl Hörbuch, als auch Musikalbum. Der erste Eindruck, dass es sich um „Nightfall in Middle Earth 2.0 in der Orchester Version“ handelt, wird schnell bestätigt. Die Original Sprecher nochmal ans Mikro zu holen lässt einen schnell heimisch fühlen und harmoniert perfekt in Sachen Atmosphäre. Thematisch knüpft man an „Die Dunklen Lande“ von Markus Heitz an, den Fantasy Fans bereits sehr gut kennen dürften. Befürchtungen, dass BLIND GUARDIAN ohne Gitarren nicht funktionieren, werden bereits nach wenigen Minuten verstreut. Man hat in den letzten Jahren in Sachen Erfahrungen und größenwahnsinnige Alben einiges angesammelt und schafft es mühelos, den Hörer da abzuholen, wo er seit den ersten Klängen dieser Band steht; die Songs treffen stellenweise unvorbereitet mit einer Gänsehaut ins Schwarze und begleiten konstant durch sämtliche Klanggefilden die es braucht, um zu fesseln. Das Soundtrack Feeling ist allgegenwärtig und wer Angst davor hatte, es mit einem reinen Klassik Album zu tun zu bekommen, wird schnell Entwarnung geben können. Jedes Wort über die Produktion erübrigt sich hier im Ansatz, denn die Wächter sind nicht nur mit dem gewohnten Perfektionismus, sondern auch mit sehr viel Liebe zum Detail an das Album herangetreten. Natürlich könnte ich jetzt mit Adjektiven wie „episch“, „bombastisch“ und „unglaublich“ um mich schmeißen, aber wenn man die Truppe kennt und sich vorstellt, was sie in 20 Jahren auf die Beine stellen können, erübrigt sich jedes weitere Wort.

Im Promotext wird davon gesprochen, dass Rom nicht an einem Tag erbaut worden ist und das Tolkien seine Fans auch lange hat warten lassen, ehe sein „Herr der Ringe“ Epos fertig war. Mit „Legacy Of The Dark Lands“ haben BLIND GUARDIAN ihr Rom erbaut und ihren „Herr der Ringe“ erschaffen. Diese Aussage trifft den Nagel auf den Kopf. Tatsächlich liebe ich diese Band seit der ersten Stunde und hatte mit dem einen oder anderen Album so meine Probleme um rein zu kommen. „Legacy Of The Dark Lands“schafft das, was andere Alben bei mir versuchen und packt mich von der ersten, bis zur letzten Sekunde und offenbart den Kern dieser Band. BLIND GUARDIAN sind nicht (nur) Gitarren, sondern jenes Gefühl, das sie seit den ersten Klängen der „Battalians Of Fear“ sind: Eine Band, die es schafft, Geschichten so atmosphärisch zu vertonen, dass ich nicht genug davon kriegen kann!

Klar kann man als Kritiker hier auch jedes Detail auseinanderpflücken und Schwachstellen suchen, aber die Wucht, die Vielfältigkeit und die unfassbar greifbare Atmosphäre beschäftigen mich viel zu sehr, als dass ich einen Grund zum Meckern suchen möchte. Ich bin mir sicher, dass dieses Album mich noch sehr lange Zeit beschäftigen wird; Fakt ist, dass sich BLIND GUARDIAN damit ihr eigenes Denkmal gesetzt haben und ich mich jetzt schon darauf freue, dieses Kunstwerk mit dem Twilight Orchester live zu erleben.

10 von 10 Punkten

/Radu

 

Folgende 3 Tipps sollte man beherzigen, um sich die Wirkung des Albums in seiner ganzen Bandbreite zu gönnen:

 

  1. Das Album beim ersten Durchlauf alleine und über Kopfhörer durchhören (wenn man sich die Zeit für die Musik nimmt, wird man mit einem epischen Trip belohnt).
  2. Das Buch „Die Dunklen Lande“ von Markus Heitz lesen.
  3. Nach einigen Durchläufen die BLIND GUARDIAN Diskographie ab der „A Night At The Opera“ nochmals anhören. Das gibt nicht nur ein tieferes Verständnis für die Band und deren musikalische Entwicklung der letzten 20 Jahre, sondern versöhnt auch einige Fans, die mit den (teils sehr opulenten) Werken nach der „Nightfall“ ihre Schwierigkeiten hatten.