NIGHTINGALE – „I“ (Review)
Wir schreiben das Jahr 1995; kurz vor dem Ende des letzten Jahrtausends ging ein Ruck durch die Metalszene und sie explodierte förmlich in alle Richtungen in Sachen Kreativität. Old School Bands sollten ihre Blütezeit feiern (Dismember, Entombed), legendäre Alben erblickten das Licht der Welt, die noch heute viele Bands inspirieren („Tales from the Thousand Lakes“ von Amorphis) und man wagte musikalische Experimente, indem man Akustikgitarren mit klirrendem Black Metal verband (Unanimated, Satyricon), Keyboards mit Raserei vereinte (Emperor) oder cleane Vocals mit Death Metal kombinierte (Edge of Sanity). Inmitten dieser musikalischen Landschaft produzierte das schwedische Multitalent Dan Swanö pausenlos Alben, auf denen er gerne auch einmal mitwirkte. Die Liste seiner Arbeiten liest sich wie ein Telefonbuch von Klassikern und Perlen, die mich bis heute noch ehrfürchtig staunen lässt. Neben dem Job als Produzent tobt sich Swanö in seiner Hauptband Edge of Sanity aus und knallt ein innovatives Album nach dem anderen auf den Tisch. Unverwechselbar seine Vorliebe zwischen cleanen Vocals und den Growlbratzen, die eine authentische Symbiose bilden.
Eines Tages sollte ich durch Zufall beim Stammdealer meines Vertrauens (Hallo, Idiots Records aus Dortmund!) durch Zufall eine CD in die Finger bekommen, deren Cover mir gefallen sollte. Innerhalb von 30 Sekunden des Reinhörens war die Gänsehaut garantiert und mein letztes Geld auf den Tresen geworfen, denn es handelte sich um die „Breathing Shadow“ von Nightingale, auf der Dan Swanö zum ersten Mal in meinen Ohren ein komplettes Album durchsingen (und nicht growlen) würde. Der Sound war komplett auf Sisters of Mercy getrimmt, aber unfassbar gutes Songwriting. Das Nachfolgealbum spielte Dan mit seinem Bruder Tom Nouga ein, wo bereits erste 70er Jahre Einflüsse rauszuhören sind. Das dritte Album „I“ erzählt inhaltlich die Vorgeschichte von „Breathing Shadow“ und kam damals auch erstmals mit den kompletten Texten im Booklet der ersten beiden Alben daher. Der Gothic-Vibe war mittlerweile komplett verschwunden und zugunsten des saftigem Hardrock gewichen, bei dem auch mal progressiv auf den Teller gespuckt wurde. Dieses Schätzchen wurde nun wiederveröffentlicht und erfährt endlich seine Jungfernfahrt als Vinyl, ein waschechtes Remaster sowie 7 Bonustracks und Bonus CD mit 18 (!) weiteren Tracks.
Bei den Bonustracks leckt man sich zunächst die Finger, denn hat man von den schwedischen Titeln noch nie gehört. Beim Durchhören stellt sich heraus, dass es sich dabei um alternative Versionen der bereits bekannten Songs handelt, die ein intensives Proberaumflair versprühen. Auch die Rough Mixe lassen die Songs noch einmal in einem erdigen Licht erstrahlen. Egal, ob man das AOR geschwängerte `Scarred for Life`, den schnellen Klassiker `Still in the Dark`(gehört auf jede Setlist mit `Losing Myself` und `Black Tears`!) oder das elegische 70er Jahre Keyboardmonster `Remorse and Regret` hört; Dan Swanö hat irgendwie das Kunststück geschafft, dass bereits sehr gute Songs noch besser klingen können. Seine Gesangsleistung und die Akustikgitarren auf `Alonely` bescheren auch heute noch zuverlässig eine Dauergänsehaut, während mein persönliches Highlight `I Return` das gesamte Potential eines Multitalents in einem einzigen Song verschmelzen lassen und gnadenlos durch die Boxen direkt ins Herz schießt. Ich könnte weiterhin von dem abwechslungsreichen Songwriting, der Symbiose aus Hardrock, 70er Jahre und introvertierten Balladen schwärmen, aber das sollte man nicht lesen, sondern muss man hören. Erwähnen muss ich aber das geniale `Breathing`, bei dem mittels Keyboards und der bekannten Rückkopplung der Gitarre zu Beginn von `Nightfall Overture` die Brücke zum Erstling „The Breathing Shadow“ geschlagen wird.
Fazit: Dan Swanö Fans brauchen das Teil dringend! Mehr Fanservice geht einfach nicht, denn hier stimmt alles: Produktion (Dan Swanö im Perfektionsmodus), Livesongs, Bonustracks und Vinylformat. Jedes weitere Wort ist Verschwendung; holt euch das fette Package, schmeißt die Anlage auf Maximum und freut euch einfach nur über Songs, die auch 24 Jahre später zeitlos sind, aber in einer zeitgemäßen Produktion alles rausholen, was das Herz begehrt!
Redakteur: Sebastian Radu Groß