CD Reviews

BLACK SABBATH – „Anno Domini 1989-1995“

Wer ist der beste Sänger bei BLACK SABBATH gewesen? Wenn man eine abendfüllende und hitzige Diskussion anstoßen will, muss man einen der vielen Sänger in den Raum werfen und in Deckung gehen. Im Endeffekt wird es nie eine einheitliche Meinung darüber geben, denn jeder hatte seine eigene Daseinsberechtigung in den unterschiedlichen Ären. Ohne Madman Ozzy wäre es niemals zum Urknall gekommen, Dio hat mit seinem Einstieg das Gesangsniveau auf eine neue Ebene gehievt und Ian Gillan hat auf der „Born Again“ das dreckigste und räudigste Album seiner Karriere abgeliefert. War die „Seventh Star“ dank der Gesangsleistung von Glenn Hughes vom Blues stark geschwängert, so läutete Tony Martin eine ganz eigene Ära ein, der nun mit der aktuellen Box Tribut gezollt wird.

Headless Cross: Es ist ein offenes Geheimnis, aber die Hard-Fans lassen nichts über Ozzy kommen und Dio Fans huldigen auch ihrem Idol, während die anderen Sänger schnell mal unter den Tisch fallen. Für mich persönlich war die Tony Martin Ära eine besondere Erfahrung, die ich musikalisch und auch emotional sehr mit meiner Jugend verbinde. Als ich damals zum ersten Mal „Headless Cross“ auf dem Metal Decade Sampler gehört hatte, war ich direkt schockverliebt; simples (aber tightes) Schlagzeug, tonnenschwere Gitarrenriffs, sphärische Keyobardpassagen und präsente Basslines, über denen eine charismatische Stimme thronte, die mir aus dem Hinterhalt eine Dauergänsehaut bescherte. Das komplette Album ist meiner Meinung das okkulteste und von der Atmosphäre finsterste Album, das Sabbath in ihrer Karriere abgeliefert haben. Auch wenn `Devil & Daughter` an sich recht flott durch die Boxen fließt, so liefert es eine Stimmung ab, als wäre es in tiefster Nacht aufgenommen worden. Ich kann `When Death Calls` nicht erwähnen, ohne mental ehrfürchtig auf die Knie zu sinken; ein melancholischer Einstig, der von unfassbaren heftigen Riffs durchbrochen wird, ehe es im Mittelpart auch nach 25 Jahren keine Gnade mehr für die Nackenmuskulatur gibt. Brian May hat auch mal eben ein Solo beigesteuert, was in Kombi mit Iommis Riff alles aus dem Song herausholt, was möglich ist. Lockere Riffs und sich gleichzeitig als letzter Mensch auf Erden fühlen? Das bekommt `Kill in the Spirit World` im Laufe seiner Spielzeit problemlos hin. Lässige Melancholie wird auch von `Call of he Wild` zelebriert, dessen Gesanglinie sich beim ersten Durchlauf erbarmungslos für immer in die Synapsen krallt. Sollte es möglich sein, bei `Black Moon` still zu sitzen, muss man entweder taub oder tot sein, denn alles andere ist bei der Symbiose aus epischem Soundgewand, knackigen Riffs, und ohrwurmgeschwängerten Vocals nicht drin. Endgültig zur Gänsehaut und zum Staunen verdammt bin ich mit `Nightwing`, für das ich meine halbe Plattensammlung opfern würde, um es einmal live hören zu dürfen. Zum ersten Mal darf auch die B- Seite `Cloak and Dagger` für alle zugänglich sein, die zwar ein Kniefall an den Blues ist, vom Text her allerdings eine ganz andere Sprache spricht.

Tyr: Wenn Queen mit Black Sabbath ein musikalisches Kind gezeugt hätten (was bei der Freundschaft von Tony Iommi und Brian May kein Wunder wäre), wäre daraus „Tyr“ entstanden. Bevor Black- und Folk Metal Bands die Mythologie von Odin & Co für sich entdeckt hatten, haben es BLACK SABBATH bereits zelebriert. Bereits der Opener `Anno Mundi` startet verspielt mit cleanen Gitarren, ehe man sich mit abgedämpften Riffs und dominantem Schlagzeug in die Schlacht begibt, auf der es so viele kleine (und große) musikalische Details zu erkunden gibt. Dass man nicht nur langsam, sondern sich auch mal fix austoben kann, beweist man mit `Law Maker`, bei dem Iron Maiden bestimmt anerkennend den Daumen nach oben recken würden. Hart und zart gleichermaßen wechselt man sich mit `Jerusalem` ab, ehe man mit `Sabbath Stones` ein einzigartiges Kopfkino erzeugt. Es folgt auf 3 Songs verteilt ein musikalisches Theaterstück, das mit `Valhalla` explodiert; spätestens hier wird klar, dass es für diese Platte keine Alternative zu Tony Martin geben kann; die Songs wurden optimal auf ihn zugeschnitten und es passt alles perfekt. Meine persönliche Lieblingsballade von BLACK SABBATH lautet `It feels good to me` und ich finde leider keine Worte, um Anmut und Schönheit dieses Songs zu beschreiben; Kopfhörer auf, Augen zu und selbst erleben! Rausschmeißer `Heaven in Black` macht einen gekonnten Spagat zwischen 80er Jahre Flair und wilden 70er Restalkoholzeiten; sorglos spaziert man an den Riffs vorbei und lässt sich dabei von einem amtlichen Schlagzeug die Nackenmuskeln massieren.

Cross Purposes: Ich gebe zu, dass „Cross Purposes“ und mich eine Hassliebe verbindet; das Album insgesamt finde ich recht unspektakulär; dann kommt allerdings ein `Cross of Thorns` aus einer Parallelwelt und saugt mich mal eben komplett in sich ein. Es gibt aggressivere Songs als `Psychophobia`, aber er funktioniert auf dieser Scheibe einfach so gut, dass alles in mir ihn mögen will. `Virtual Death ist laaaangsaaaam, zeugt aber von den Doom Wurzeln. Mir persönlich gefällt die Doom Darbietung von Tony Martin auf dem  Titeltrack von `Eternal Idol` sehr viel besser (diese Scheibe ist allerdings nicht im Box Set enthalten, da es über ein anderes Label lief; gibt es aber mittlerweile bereits remastered). `Immaculate Deception` und `Back to Eden` fallen konstant meiner SKIP Taste zum Opfer, während die Singleauskopplung `The Hand, that rocks the cradle` immer noch funktioniert. Ich musste mir `Cardinal Sin` zwar lange schönhören, aber der orchestrale Teufelswalzer hat es mir mittlerweile irgendwie angetan und ich möchte ihn nicht mehr missen.

Forbidden: Für das „Forbidden“ Album hat sich Iommi viele Jahre (zu  Unrecht) geschämt, was ich kaum nachvollziehen kann. Dafür wurde es jetzt neu gemixt und es treibt jedem Fan der Tony Martin Ära direkt die Freudentränen in die Augen. Endlich hat `Illusion of Power` mit Ice-T seine Durchschlagskraft bekommen, die es verdient. Auch `Get a Grip` knallt nun heftiger durch die Boxen, während man sowohl Basslinien und Gesangsspur auf `Can´t get close enough to you`auf einem ganz neuen Level erfährt. Ich mochte `Shaking off the chains`bereits auf dem Original, da BLACK SABBATH sich am Schlagzeug auch mal zu Doublebassattacken und einer Knüppelpassage hinreißen lassen. Ja, `I won´t cry for you` ist cheezy, aber dafür stürzt sich `Guilty as Hell`umso mächtiger auf die Gehörgänge. Auch hier musste dem Blues erneut gehuldigt werden, was in Form von `Sick and Tired` erledigt wird, ehe das knackige `Rusty Angels` im neuen Soundgewand fast schon Proberaumflair hat und erdiger daherkommt. Einzig mit dem Titeltrack bin ich nicht ganz zufrieden; zwar hört man die Instrumente klar raus und eine zusätzliche Gitarrenlinie ist am Start, aber dafür hat man die Keyboardpassage weggelassen, die ein optimaler Kontrast zum fetten Riff war. Der Rausschmeißer `Kiss of Death` funktioniert immer noch und zusätzlich bekommt man den neuen Track `Loser gets it all`spendiert, der erfrischend sorglos durch die Boxen kracht.

Fazit: Freunde der Tony Martin Ära werden an diesem Box-Set ihren Spaß haben; Fans der anderen Sänger sollten diesem Set definitiv eine Chance geben, um auch einmal eine andere Seite von BLACK SABBATH kennenzulernen. Außer der „Forbidden“ hatte ich alle Platten gesammelt, aber sowohl der aufpolierte Sound, als auch das Booklet der „Headless Cross“ Tour sowie die neue Klangerfahrung von „Forbidden“ haben mich in Erinnerungen schwelgen, staunen und eine Gänsehaut in Dauerschleife erleben lassen. Für mich persönlich ist meiner Lieblingsära mehr als würdig gehuldigt worden und ich hoffe, dass Tony Martin endlich die Anerkennung bekommt, die er verdient. Und was den ewigen Streit um den besten Sänger angeht; letzten Endes ist Tony Iommi BLACK SABBATH. Spätestens jetzt ist jede Diskussion überflüssig und hier dürften wir uns alle einig sein!

Redakteur: Sebastian Radu Groß

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