CEMETARY SKLYINE – „Nordic Gothic“ (Review)
Wir schreiben das Jahr 1994 – der Film „The Crow“ mit Brandon Lee läuft in den Kinos, Gothic- und Metalszene verbrüdern sich und das Wave Gotik Treffen in Leipzig findet zum dritten Mal statt und ahnt noch nicht, welchen Kultstatus es noch erreichen sollte. Zu dieser Zeit probierten sich viele Bands aus und teilten den Hang zum Mystischen, Dunklen und Verborgenen. Kerzen, altertümliche Gewandungen und Undergroundparties waren auch fester Bestandteil meiner Jugend, die mich sehr geprägt hat.
Ein Zeitsprung in das Jahr 2024 – die alten Kerzen sind längst erloschen und aus der Jugend wurde das Alter mit viel Erfahrung und weltlichen Lasten. Im Kino versucht man vergeblich den Flair des 90er Jahre Kinos einzufangen (The Crow Remake hätte unter einem anderen Namen veröffentlich werden müssen) und viele Bands frönen noch heute den Tributen von Sisters of Mercy & Co. Die Gothicszene wurde durch Cyberpunk und anderen Strömungen erweitert und ich schaue durch die Augen eines älteren Mannes auf die Szene, an deren Ursprung ich mich nur allzu gerne erinnere.
So oder ähnlich könnte es den Bandmitgliedern von CEMETARY SKYLINE ebenfalls ergangen sein, denn man möchte nicht nur dem alten Vibe frönen, sondern auch ein modernes Soundgewand spendieren, das nichts vom introvertierten Feeling einbüßen soll. Die Bandmitglieder haben die damalige Szene auch aktiv mitgestaltet und das Line Up besteht aus Mitgliedern von Amorphis, Omnium Gatherum, Dimmu Borgir, Insomnium und Sentenced. Für den Gesangsposten haben sie Mikael Stanne von Dark Tranqulillity bekommen, dessen cleane Stimme alleine schon Garant für Gänsehaut ist. Aber was hier mit „Nordic Gothic“ abgeliefert wird, ist schlichtweg ein Meisterwerk, das ein tiefgründiges Debüt abliefert, wie es im Buche steht.
Bereits der Opener `Torn Away`strotzt nur so von liebevollen Details, die sich zu einem charismatischen Gesamtbild formen. Sanfte Keyboards schleichen sich heran, ehe die Gitarrenwände und das Schlagzeug die Boxen erstmals mit Volldampf durchbrechen. Klassische The 69 Eyes Vocals mit einem Klavier eingestreut, ehe der Refrain sich direkt ins Langzeitgedächtnis fräst. `In Darkness` kommt erst verspielt um die Ecke, ehe es mit seinen Rammstein Riffs durch die Gehörgänge trampelt. Dennoch bleibt man in sphärischen Bereichen und serviert zusätzlich Gänsehautsolo und einen Gänsehautmarathon per excellence. Morgens beim Aufstehen habe ich immer noch den Ohrwurm von `Violent Storm`, der den Kreislauf auf Betriebstemperatur bringt. Egal ob beim Autofahren, Training oder Zocken; dieser Song holt dich einfach aus jedem Tiefpunkt wieder nach oben und lässt (trotz oder wegen) seines Midtempos das Adrenalin frisch durch die Adern schießen. Zu hart für eine Ballade, zu soft für einen Nackenbrecher? Egal, `Behind The Lie` punktet mit Gänsehaut, ehe man mit `When Silence Speaks` erhabene Pfade betritt.
Einmal introvertiert und gleichzeitig hart bitte? `The Darkest Night` serviert zuverlässig, wobei Mikaels Stimme hier derart perfekt reinpasst, dass es eigentlich in ein Lehrbuch für optimales Songwriting gehört. Schwermütig auf die vergangenen Gothic Tage der Jugend zurückblicken kann man mit `Never Look Back`, der allerdings einen Hoffnungsschimmer in Sachen Zukunft gibt. Es ist nicht alles verloren, was man in der Jugend erlebt hat, sondern es entwickelt sich weiter, während man gleichzeitig die goldenen Zeiten im Herzen trägt. Knackiger Bass und charismatische Obertöne an der Gitarre gefällig? `The ColdestHeart` wird euch glücklich machen. Es gibt eigentlich keine Anspieltipps hier, aber wer bei `Anomalie` keine Gänsehaut bekommt ist definitiv tot oder hat nicht mal ansatzweise Emotionen. Keine Beschreibung, sofort anhören und zwar in voller Lautstärke! Ganz tief in den musikalischen Vortex geht es mit `Alone Together`, womit das Album abgeschlossen wird. `
Ich könnte jeden Song auseinandernehmen, analysieren und davon schwärmen, aber stattdessen sollte man sich das Album einfach direkt holen und seine persönlichen Highlights direkt raushören. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Album jemandem absolut nicht gefallen kann, denn es bedient einfach zu viele Ecken in allen Bereichen mit professionellem Songwriting und Herzblut. Man kann ihm vorwerfen, dass es Everybody´s Darling werden wird und kommerziell ist. Reine Knüppelfetischisten könnte es auch vielleicht ein Gähnen entlocken, aber dem gesamten Rest der Menschheit, die auch nur ansatzweise etwas mit Stromgitarren anfangen können, werden es mögen und sehr viele werden es lieben. Eine Verbeugung an alte Tage und gleichzeitig eine moderne Weiterentwicklung des 90er Jahre Gohtic Sounds derart zu zelebrieren, spielt schon in einer ganz eigenen Liga und gehört meiner Meinung nach gewürdigt. Das phantastische Cover und der Albumname runden das ab, was mich seit Tagen in Dauerschleife begleiten: restlose Begeisterung für ein Album, das mich die Weiterentwicklung des modernen Gothicsounds zelebrieren und fühlen lassen.
Pflichtkauf!
10 von 10 Punkten
Redakteur: Sebastian Radu Groß