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ROCK HARD FESTIVAL 2022- Familientreffen Reloaded

Nachdem die Welt über zwei Jahre still stand, bekam Pfingsten endlich wieder eine Bedeutung für alle Stromgitarrenanhänger; die Rede ist vom ROCK HARD FESTIVAL in Gelsenkirchen, das im wunderschönen Amphitheater stattfand. Das erfreulichste daran: die Welt hatte zwar pandemiebedingt die STOP-Taste gedrückt, aber das Festival setzte direkt im Anschluss da an, als ob es nie eine Pause gegeben hätte. Unterschiedliche Metalgenres, familiäre Atmosphäre und Familientreffen mit den Kumpels sind die Dinge, die nach der Pandemie eine besondere Bedeutung bekommen haben. Leider war mir aus familiären Gründen „nur“ ein Tag vergönnt, aber der hatte es in sich: Vorhang auf für den Rückblick auf das ROCK HARD 2022!

Das Festival hat etwas Magisches; denn egal, wie lange ich nicht mehr da war, man trifft IMMER alte Bekannte oder lernt neue Leute kennen. So dauerte es keine 20 Minuten, bis ich meinem alten Jugendkumpel begegnete, den ich zuletzt vor 20 Jahren gesehen hatte. Grund genug für ein Bierchen und die erste Band des Tages INDIAN NIGHTMARE. Man kann von der Punk´n Roll Kapelle halten was man will, aber die Jungs haben richtig Bock und klopfen ordentlich den Morgenkater aus dem Schädel. Epische Bühnenshow, charismatische Bühnenshow? Darauf wird gepflegt geschissen; stattdessen zeigt man mit messerscharfen Riffs den Stinkefinger aus den Boxen und rotzt seinen Stiefel durch. OK, dem Sänger fehlt es an Wiedererkennungswert und auch den Gitarristen ans Mikro zu lassen steigert nicht gerade die Qualität, aber das machen die Jungs schlichtweg durch ihr Herzblut auf der Bühne wett und füllen das Amphitheater so früh schon recht amtlich. Ein guter Einstieg, um die Nackenmuskeln schon mal warm zu schleudern.

Thrash-in-die-Fresse gibt’s direkt im Anschluss mit den SUICIDAL ANGELS, die mittlerweile kein unbeschriebenes Blatt mehr sind. Zwar ist das Genre nicht gerade meins, aber dennoch lassen mich die Aggression und besonders die Solis nicht kalt. Das sehen viele Anwesenden ebenfalls so, denn vor dem Platz staut sich bereits eine amtliche Menschentraube, die von dem Sound recht angetan sind. Hinzu kommt, dass auf der Bühne in Sachen Stage-Acting geklotzt statt gekleckert wird, denn man legt sich ins Zeug und versucht alles, um seine Duftmarke in Gelsenkirchen zu hinterlassen.

Mit einem sehr charismatischen Sound legen VILLAGERS OF IONNINA CITY los, der einen sofort in den Bann zieht. Keine Ahnung, was sie dort auf der Bühne zelebrieren, aber es hat etwas. Da ich noch nie von der Band gehört habe, lass ich mich einfach mal in den Sound fallen und erschrecke als ich merke, wie schnell die Zeit doch dabei vergeht. Spätestens bei „Millenium Blues“ ist die Hütte voll und an vielen Ecke der Duft von grünem Kraut wahrnehmbar, während vorne ein sehr guter Grund dargeboten wird, warum die Stoner Rock Szene ausrastet. Entspannt und gleichzeitig doch irgendwie dynamisch.

Mittlerweile ist es Nachmittag und die Sonne hat sich und die Anwesenden schon recht warm gebrutzelt. Zeit für eine kleine Stärkung und zum Schnäppchenpreis von 8,00 Euro eine Packung gebratene Nudeln reingeschaufelt. Ein Bierchen für 5,00 Euro tut über den Tag verteilt zwar irgendwo auch weh, aber nach der Pandemie habe ich keinen Grund zu klagen und zahle das doch sehr gerne, um hier eine gute Zeit zu verbringen. Mittlerweile fallen mir auch einige kleine Veränderungen auf: Den Metalmarkt gibt es nicht mehr, dafür einige Merch-Stände, die insgesamt alles gut abdecken. Außerdem gibt es das Satanorium, bei der einige coole Aktionen stattfinden. Leider habe ich die Lesungen von „Kumpels in Kutten“ verpasst, aber dafür konnte ich die PAINTED IN BLOOD Ausstellung besuchen, bei der sehr coole Bilder von Thomas Ewerhard, Jan Meininghaus und Björn Gooßes ausgestellt werden. Dabei fallen einem unter anderem sehr schöne Artworks von Kreator, das Buchcover von „Traumschrott“ (von Christian Krumm) oder eine Hommage an das „Holy Diver“-Cover von DIO auf. Es gibt viel zu entdecken und auch zu kaufen, aber dann wieder fix Richtung Bühne.

Satte 11 Jahre ist es her, dass ATLANTEAN KODEX das Rock Hard beehrt haben. Sie wurden damals als eine Mischung von Manowar und Bathory angekündigt und das trifft auch 100%ig zu. Damals räumten sie ab und entsprechend groß ist die Vorfreude bereits auf dem Platz und soll an diesem Tag erneut mehr als erfüllt werden. Auch wenn es der sympathischen Truppe schwer fällt mehr als 4 Songs in 50 Minuten zu spielen (ja, die Songs sind ausufernd, aber nie langweilig), hat man hier auf und vor der Bühne seinen Spaß und wird mit gegenseitiger Gänsehaut belohnt. „Lion of Chaldea“ stampft beispielsweise mit seinen Riffs alles ein, während die charismatische Stimme die Atmosphäre in jede Ecke des Amphitheaters trägt. Man spürt die Verbindung zwischen Band und Publikum hier sehr intensiv, die sich gegenseitig sehr viel zu geben haben und so ist spätestens bei „Sol Invictus“ fast jeder Sitzplatz belegt und die Stimmung auf extrem hoher Betriebstemperatur. Spätestens beim Rausschmeißer „The Atlantean Kodex“, ist klar, dass man hier eine Band erleben durfte, die auch problemlos einen Platz als Headliner verdient hätte. Episch, sympathisch, genial; jederzeit wieder!

Was ist cheezy, trieft nur vor lauter Klischees und macht nach einer (pandemiebedingten) Zwangspause trotzdem irgendwie doch Spaß? THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA huldigen dem 80er Jahre Sound derart intensiv, dass ich mir am liebsten ein Schweißband anziehen und den ersten Teil von „Karate Kid“ anschauen möchte. Ich hatte sie bereits einmal auf dem Rock Hard gesehen, aber schlichtweg keinen Zugang dazu gefunden. Auch wenn ich eigentlich diese Klänge mag, will sich bei mir schlichtweg keine Begeisterung einstellen. Das liegt allerdings definitv an mir, denn auf der Bühne liefert man top ab und der Platz ist voller Feierwütigen, die dem Sound (zurecht) huldigen. Als Hintergrundmusik ist es für mich zu diesem Zeitpunkt perfekt, um nochmal die Merch Stände zu plündern und etwas zu futtern.

Was könnte man an seinem 40. Geburtstag alles machen? Mit zweijähriger Verspätung beantworten GRAVE DIGGER diese Frage und lassen die Clans ins Amphitheater marschieren. Gleichzeitig gewinnen sie den Preis für die aufwendigste Bühnenshow, denn man fährt mal eben eine komplette Mannschaft auf, um mit Dudelsäcken und Trommeln zu unterstützen. Viele Anwesenden werden wieder in ihre Jugend zurück katapultiert, wenn Granaten wie „Excalibur“, „The Clans Will Rise Again“ oder „Heavy Metal Breakdown“ in die Masse gefeuert werden. Auch neuer Stoff wie „Hell Is My Purgatory“ zündet schnell und reiht sich gut in die Klassiker ein. Lediglich „The Ballad Of Mary“ hätte man sich meiner Meinung nach klemmen können; dennoch sind GRAVE DIGGER in Gelsenkirchen genauso gut aufgehoben, wie die Currywurst bei der Pommes: passt zusammen und ist beides Kult!

Es ist mittlerweile später geworden und ich laufe den gefühlt endlos langen Weg, um meine Kutte aus dem Auto zu holen und die Merchbeute in den Kofferraum zu werfen. Ich komme am Biergarten vorbei, wo der DJ die Meute mit Manowar einheizt. Überhaupt hat der Mann hinter den Reglern von BURNING STEEL ein feines Händchen für geile Musik und begeistert mich mit seinem Mix aus Sentenced, Paradise Lost und Edge of Sanity.

Leider mussten Phil Campbell kurzfristig absagen; dafür springen ASPHYX in die Bresche. Ein Kompromiss, mit dem viele Anwesenden (inklusive mir) sehr gut leben können. Bereits beim Soundcheck geht die Stimmung hoch, als Martins Organ durch die Boxen bellt. Eine Weltpremiere wird angekündigt, denn am Schlagzeug wird heute erstmals in kurzen Hosen gespielt. Sehr zum Leidwesen von Martin, der sich über den üblen Gestank beschwert. Es ist immer wieder herrlich, diesen Bierhumor in Kombination mit rotzigem Gehacke live zu erleben und obwohl die Truppe unvorbereitet und völlig spontan eingesprungen ist, wird hier die Nackenbrecherbestellung zuverlässig abgeliefert. Auch an politischen Ansagen mangelt es nicht und so wird seinem Ärger über den Krieg in der Ukraine rasch Luft gemacht. Der Death Hammer kam, fiel und legte alles in Schutt und Asche. Ich freu mich schon, die Jungs auf dem Party San erneut zu sehen.

Mit BLIND GUARDIAN verbinde ich extrem viel mit meiner Jugend und meinem Leben generell; mit Perlen wie „Somewhere Far Beyond“ oder „Nightfall in Middle Earth“ haben sich die Barden einen festen Platz in meinem Leben einbetoniert. Mit entsprechend großer Ehrfurcht begegne ich dem Gig mit den wohl höchsten Erwartungen (und gleichzeitig Vertrauen), die ich je bei einem Konzert hatte. Nachdem man mit „Into The Storm“ bereits das Stimmungsbarometer auf Maximum geballert hat, kündigt Hansi an, dass man heute (aufgrund der Nachbarn) pünktlich fertig werden müsse und wir heute auf lange Ansagen verzichten müssen. Ohne Umschweife beackert man noch schnell die „Nightfall“, ehe man das komplette „Somewhere Far Beyond Album“ in die Menge schießt und damit alle ins Jahr 1992 katapultiert. Auch nie gespielte Nummern wie „Black Chamber“ werden schnell mit dem Publikum veredelt, oder auch „Theatre of Pain“ mit derartigen Hingabe gespielt, dass Zeit und Alter in diesem Moment des Gigs schlichtweg keine Rolle mehr spielen. Die Krefelder sind live eine zuverlässige Institution, scheinen aber heute Abend extrem hungrig zu sein, denn es entlädt sich die Energie, die sich aufgrund der Pandemie aufgestaut hat. „Ashes to Ashes“ war auf Platte geil, legt aber live nochmal eine Schippe drauf und spätestens bei „The Quest for Tanelorn“ bekommt man das Gefühl, das man als Jugendlicher hatte, als man die Tokyo Tales gehört hatte und sich wünschte, dabei gewesen zu sein. Der „Bard´s Song“ ist eine sichere Kiste mit Gänsehaut, aber endlich auch mal den „Bard Song: The Hobbit“ live zu hören ist alleine schon die Reise nach Gelsenkirchen wert gewesen. Der Titeltrack ist eine Belastungsprobe für Nackenmuskulatur und Stimmbänder gleichzeitig, ehe man mit „Valhalla“ die angrenzenden Nachbarn wach singen möchte. Obwohl die Endorphine bereits Überstunden schieben und der Körper quasi nur noch aus Adrenalin besteht, ballert man noch „Mirror, Mirror“ in die Meute und macht damit den Sack zu. Einmal im Leben die „Somewhere…“ live und in voller Länge hören; dieser Traum ist an diesem Abend in Erfüllung gegangen und es hat sich mehr als gelohnt!

Nach einem weiteren Marsch zum Auto und einer flauschigen Fahrt von 50 Minuten (bei 170 km/h) , freut sich mein Kadaver wieder zuhause zu sein. Der Alltag und neue Herausforderungen warten bereits wenige Stunden später, aber wenn ich an diesen Tag zurückdenke, ist es genau das, was einem Kraft gibt und was mir die letzten beiden Jahre so gefehlt hat; die Musik, die ich liebe in einer schönen Location zu genießen und mit sehr netten Menschen zu teilen. DANKE ROCK HARD Festival!

 

PhotoCredits / Berichterstattung: Sebastian Radu Groß 

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