ATROCITY im Interview – Geschichten wollen erzählt werden
Mit Alex Krull von ATROCITY über die neue Platte zu Plaudern fühlt sich so an, als würde man mit einem sehr guten Kumpel gemütlich Bier trinken , über Musik und das Weltgeschehen philosophieren. Anlässlich des Hassbrockens „Okkult III“ sprachen wir über den Abschluss einer 10 jährigen Trilogie, der weltweiten Schatzsuche und einer Welt am Abgrund.
„Leck mich am Arsch, ist das eine geile Scheibe geworden!“ eröffne ich das Interview mit einem Feedback zum aktuellen Album (Review findet ihr hier). Hier wurde gekonnt der Charme der 90er Jahre in einem brutalem Soundgewand auf die Menschheit losgelassen. Zusätzlich gibt es auf diesem Album auch wieder viele Geschichten zu entdecken, die sowohl historisch, als auch (logischerweise) okkulten Hintergrund haben.
„Danke, das freut mich sehr, dass die Scheibe gefällt“ freut sich ein gut gelaunter Alex. „Wir haben uns im Vorfeld bereits viele Gedanken gemacht und wollten auf keinen Fall die Trilogie mit einem lahmarschigen Album abschließen. Letzten Endes ist ein wahres Riffmonster dabei rausgekommen, das die 10-jährige Reise unserer Meinung nach würdig abschießt.“ Manchmal ist es ein gewagter Spagat zwischen old school Charme und moderner Brutalität. Dafür hat Alex aber ein simples und effektives Rezept: „Die Songs sind aus dem Bauch heraus entstanden, wurden aber im Nachgang mit sehr viel Technik verfeinert. Gerade beim Gitarrenspiel sind wir echt an unsere Grenzen gegangen und haben versucht, alles rauszuholen. Unter dem Strich ist es wichtig, dass es geile Songs sind, unabhängig, wie sie entstanden sind. Wenn ich die Songs mitsummen kann, dann klappt auch das Songwriting (lacht)“.
Poltergeister & Pestdoktor
Im Vergleich zum Vorgänger „Okkult II“ klingt das aktuelle Album erdiger, dreckiger und auch aggressiver. Gleich geblieben sind die abwechslungsreichen Geschichten, die zum Recherchieren einladen. „Faces From Beyond“ handelt beispielsweise von Geisterbeschwörungen. „Ich habe mal eine sehr interessante Dokumentation darüber gesehen“ erklärt Alex. „Da hat man versucht, mittels moderner Technik die Anwesenheit von Geistern zu beweisen. Man hat es mit einer Tonbandmaschine versucht und tatsächlich durch das Rauschen angeblich die Stimmen von Verstorbenen hören können. Später ist man auch zu Videoaufnahmen übergegangen und hat alles versucht, um dem Unerklärlichen einen Schritt näher zu kommen. Du kennst es ja auch aus Filmen, wie „Poltergeist“, dass solche Phänomene die Menschheit schon immer fasziniert haben und ich beschäftige mich sehr gerne damit. Einmal habe ich bei „Na Sowas“ gesehen, wie sie 2 Leute eingeladen haben, die mit technischen Mitteln mit Verstorbenen kommuniziert haben, um Kriminalfälle aufzudecken. Keine Ahnung, ob das alles wirklich echt ist, aber alleine die Vorstellung davon ist schon krass. Es gibt viele Dinge auf dieser Welt, die wir uns einfach nicht erklären können.“ Ein anderes Beispiel ist „Priest Of Plague“, das auch historisch einiges auf dem Kasten hat. „Dieser Song erzählt die Geschichte von Wolfgang Uhle und spielt im 16. Jahrhundert. Er war ein Pfarrer und hatte einen Mord begangen. Um dem Strick zu entkommen, floh er in die Wälder und versteckte sich dort lange Zeit. Kurze Zeit später, breitete sich die Pest aus und man machte dem Pfarrer das Angebot der Begnadigung, wenn er in dem befallenen Dorf als Pfarrer arbeiten würde. Er nahm an und hat es wirklich geschafft lange dort als Pfarrer zu arbeiten, ohne selbst von der Pest dahingerafft zu werden. Ironischerweise ist er dann in der Kirche an einem Schlaganfall gestorben. Seine Strafe hat sich quasi also nur nach hinten verschoben.“ Es gibt also weitaus mehr als nur geile Riffs und musikalische Arschtritte zu entdecken; wer sich mit den Texten beschäftigt und ein wenig recherchiert, wird mit vielen spannenden Geschichten belohnt werden.
Soundtrack zur Apokalypse
Zurück in unserer Zeit warten gleich andere Probleme; die Corona Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben natürlich einen immensen Einfluss auf das Leben genommen. „Ich hatte selbst Corona, bin aber zum Glück relativ schnell damit durch gewesen. Die wirtschaftlichen und psychischen Folgen hallen aber bei den Menschen noch lange nach. Wir konnten zwei Jahre lang nicht live spielen, viele Leute haben ihren Job verloren und ich mag mir gar nicht vorstellen, welche weiteren Langzeitfolgen noch auf uns zukommen. Wir hatten vorher bereits einige Probleme, wobei Corona jetzt hier ein Brandbeschleuniger war. Da haben wir die erste Krise gemeistert, dann begann der Krieg in der Ukraine. Zwei unserer Crew Mitglieder sind in Kiew, da konnten wir nichts machen und nur hoffen, dass es ihnen gut geht. Es gibt sehr viele Umbrüche im Finanzwesen und in der Politik und zurzeit werden die Karten neu gemischt, wobei niemand weiß, was letzten Endes dabei herauskommt. Auch haben sich hier einige religiöse Fanatiker eingeschaltet, die den menschlichen Geist zu manipulieren versuchen, ganz zu schweigen von den Medien. Fakt ist, dass die Menschen leiden und das alles erst der Anfang ist.“ Wir befinden uns in einer neuen Ära, wo vieles auf dem Prüfstand steht und sich einiges ändern wird. Während wir mit den finanziellen Mitteln um die Grundversorgung (z.B warme Heizung im Winter) kämpfen, müssen die Menschen in der Ukraine um das nackte Überleben bangen, nachdem sie alles verloren haben. Eine sehr gute Gelegenheit den inneren Kompass neu auszurichten und für sich selbst (und andere) eine klare Stellung zu beziehen.
Schließlich sind soziale Missstände, Krieg und Umweltverschmutzung im Metalsektor nicht umsonst im Fokus beim Songwriting. In einer Diskussion mit einem Freund, buddelten wir den alten Songtext zu „Civilization Collapse“ von KREATOR aus und kamen zu dem Schluss, dass diese Songtexte teilweise in den Nachrichten und im Internet mittlerweile Tatsachenberichte sind. „Wir halten der Gesellschaft ja quasi immer den Spiegel vor Augen, was schiefläuft“ ergänzt Alex. „Alle Bands tragen ihren Teil dazu bei; wir haben mit unserem aktuellen Album auch den Soundtrack zur Apokalypse erschaffen, der wir uns mit jedem Schritt nähern.“ Es bleibt an jedem Einzelnen hängen, wie wir als Gesellschaft damit umgehen.
Schatzsuche & Perspektiven
Bereits vor 10 Jahren, als „Okkult“ das Licht der Welt erblickte, riefen ATROCITY dazu auf, bei einer weltweiten Schatzsuche teilzunehmen. Alex hatte eine goldene CD versteckt, auf der ein Song war. Direkt nach der Aufnahme hat er die Masterbänder vernichtet, Hinweise hinterlassen und dann zur Schatzsuche aufgerufen.
Es gibt mittlerweile auch die ersten Zwischenbilanzen. „Die Schatzsuche läuft und ich verfolge immer noch gerne das Geschehen. Es ist auch ein großes Projekt, dass die Sucher durch 6 Länder führt, von daher ist es auch schön zu sehen, wie sich die Leute untereinander austauschen. Allerdings hat einer leider nicht fair gespielt. Ich weiß noch nicht, wer es war, aber ich werde es noch herausfinden und die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen. Schließlich sollen die Leute weiterhin Spaß an der Schatzsuche haben. Auch nach der Veröffentlichung von „Okkult III“ ist damit noch nicht Schluss. Die Schatzsuche wird uns hoffentlich noch lange beschäftigen“ Weitere Infos zur Schatzsuche gibt´s auf der Homepage von ATROCITY.
Auch wenn die Zukunft ungewiss ist, so sollte man dennoch einige Pläne haben, damit die Perspektive nicht verloren geht. Hier hat Alex eine klare Vorstellung: „Unbedingt wieder live spielen!“ platzt es aus ihm heraus. „Wir haben jetzt lange Zeit ohne die Leute da draußen überleben müssen, da haben wir richtig Bock euch wieder live zu sehen!“. Live ist mittlerweile auch ein Begriff für sich: während einige Bands lediglich mit Backdrop und Lichtershow die Musik sprechen lassen, so fahren andere eine riesige Show mit Wikingerschiffen und Schauspielern auf. Was kann man von ATROCITY hier erwarten? „Ich find beides geil! Jedes hat seinen eigenen Charme; nimm zum Beispiel IRON MAIDEN: ohne Eddie Show würde mir hier echt was fehlen. Es kommt aber auch auf das Setting an. Auf einer riesigen Festivalbühne kann man sich mit der Show austoben. Ich mag aber auch sehr gerne die intime Clubatmosphäre, wo man sich auf das Wesentliche konzentrierte und alles intensiver mitbekommt.“ Als Musikfan wäre für Alex übrigens ein Traum, wenn man PINK FLOYD einmal in gemütlicher Atmosphäre in einem Amphitheater bestaunen könnte. Zusätzlich werden noch Videos gedreht und die Promomaschine weiter bedient. Auch kam zur Sprache, ob man sich eine Autobiographie über ATROCITY vorstellen könnte. „Das Thema kam tatsächlich schon mal auf, habe ich aber nicht weiterverfolgt. Letzten Endes habe ich nicht die Muse und auch nicht die Zeit an sowas zu arbeiten. Außerdem ist es manchmal besser, wenn die Leute nicht alles von einem wissen“ schallt es lachend aus dem Hörer.
Nahtoderfahrungen
Auch wenn die Okkult Trilogie ihren Abschluss gefunden hat, so gibt es noch viele Geschichten, die erzählt werden wollen. Als ich Alex darauf anspreche, ob ein Text über eine Nahtoderfahrung für ihn interessant wäre, gibt es für uns beide genug Zündstoff für ein zusätzliches Interview.“ Das Gehirn ist extrem komplex. Ich habe mich auch mal damit auseinandergesetzt und es gibt ja verschiedene Erzählungen darüber. Einige haben sich selbst von außen gesehen, andere schweben auf ein Licht am Ende des Tunnels zu. Es gibt viele unterschiedliche Versuche, diese Phänomene zu erklären. Eine interessante Theorie ist z.B., dass die Erfahrung auch in unserer DNA verankert ist. Auch unser Lebensstil kann dabei immensen Einfluss darauf haben. Wenn du z.B. als Kind früher endlos viel über Ritter gelesen hast, kann es sein, dass du bei einer Rückführung genau in diesem Zeitalter landest. Es gibt hier unfassbare viele Aspekte und mit der Thematik wurden schon viele Bücher gefüllt.“
Genug Stoff für neue Texte sind also da und es gibt noch viele unerklärliche Dinge, die würdig sind, vertont und erzählt zu werden. Als nächstes steht jedoch erstmal eine Tour an, bei der man sowohl die Durchschlagskraft von ATROCITY, als auch die Nähe zu Gleichgesinnten wieder genießen kann, um mit ihnen gemeinsam durch diese schwere Zeit zu gehen.
Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.
Redakteur: Sebastian Radu Groß