CD Reviews

BORKNAGAR – „Fall“ (Review)

Meine Beziehung zu BORKNAGAR ist kompliziert …

Als ich mich einst in die „Olden Domain“ schockverliebte, fütterte mich die Band konstant mit neuen Superlativen. Hatte die „Archaic Course“ für mich das Gefühl von Ulver 2.0 hervorgerufen, so wurde auf der „Quintessence“ der (für mich) perfekte Spagat zwischen unheiliger Raserei, innovativen Zwischensequenzen und gänsehautartigem Gesang abgeliefert. Ein persönlicher Traum ging für mich in Erfüllung, als sich Vintersorg auf der „Empiricism“ dazu gesellte und die Gesangsfront damit auf das ultimative hievte. Leider hatte ich in den folgenden Alben genau das gleiche Problem, wie bei den Vintersorg Alben; zu viele Ideen wurden für mich in die Songs geknüppelt, zu progressiv und verschachtelt wurde das Songwriting, so dass der einstige Zauber wirkungslos bei mir verpuffte. Durch puren Zufall bekam ich die „True North“ ins Visier und es hatte sich einiges geändert; das Besetzungskarussell hatte sich intensiv gedreht und man hatte sich sowohl auf die alten Stärken als auch auf neue Tugenden besinnt. Der Gesang wurde mehr in den Fokus gesetzt und der alte Zauber wurde in gereifteres Songwriting verpackt. Meine Liebe für BORKNAGAR war neu entflammt.

Foto: PR, Jorn Veberg. All rights reserved

 

Mit „Fall“ führt man den Kurs nun weiterhin fort, den man auf dem Vorgänger beschritten hat. Bereits der Opener `Summits` knallt alles, was ich an dieser Band liebe, in über 7 Minuten brachial auf den Tisch; emotionale Gitarrenarbeit, packender Gesang und im Verlauf einige Überraschungen, die für Gänsehaut sorgen. `Nordic Anthem`schreitet erhaben aus den Boxen und atmet mit jeder Pore die klare Gesangsarbeit, die BORKNAGAR für mich einzigartig macht. Beim Text kann man patriotisch denken, aber der Bezug auf die Natur führt schnell zurück zu den Black Metal Wurzeln, bei denen man sich in der Schönheit der Natur verliert und dies auf fast schon schamanistische Weise zelebriert.

wohl man auf `Afar` keinen Schritt von seinem Konzept abweicht, schießt die Wirkung irgendwie an mir vorbei; hier beginnt mein analytisches Hören, und mir erschließt sich auf den fast 7 Minuten das Konzept von Hart bis Zart, unterbrochen von melodischen und progressiven Passagen, die um nichts in der Welt in eine Schublade einsortiert werden wollen. Vielleicht habe ich mir den Song auch nur noch nicht oft genug angehört, aber die Wirkung stellt sich bei mir nicht ein. Ganz anders ergeht es mir bei den ersten Sekunden von `Moon`, das nach vorne prescht und mit einem herrlichen Gitarrensolo in der ersten Minute den Sack zu macht. Meine Spannungskurve wird in dem ruhigen Teil kurz abgebremst, ehe das Solo mich wieder erneut einfängt und mit dem Gesang in die fixe Passage entführt. Gerade das Konzept, mittendrin die Geschwindigkeit rauszunehmen und lange Songs zu schreiben, ist für mich ein zweischneidiges Schwert: entweder packt es mich komplett, oder die Aufmerksamkeit bricht bei mir auf diesem Album ein, weil es zu viel ist. So schön die sphärischen Intermezzi auch sein mögen, sie werden mir beim kompletten Durchlauf zu viel und das Mittel zum Zweck wirkt für mich (stellenweise) aufgesetzt, was mir die Wirkung von `Stars Ablaze`leider stellenweise verschließt.

`Unraveling` offenbart mir dann das Hauptproblem, welches ich mit dem Album habe: geile Gitarrenmelodien und nach vorne preschendes Schlagzeug werden abrupt ausgebremst, um erneut in langsame Gefilde zu verfallen; hier sehne ich mich nach der „Quintessence“ zurück, bei der man das Gaspedal mindestens eine Minute lang durchgetreten hat (Beispiel: `Ruins of Future`) und im späteren Verlauf die Überraschung eingestreut hat. Auch der Zauber von „The Archaic Course“ hätte hier weitergeträumt werden können, bei dem sowohl Geschwindigkeit als auch komplett cleaner Gesang in Einklang gebracht werden (bestes Beispiel: `Universal`). Es mag wie das Jammern eines alten Mannes klingen, der sich nach der „guten alten Zeit“ zurücksehnt, aber die Kombination aus überlangen Songs und zu schnellem Tempowechsel hinterlässt bei mir das Gefühl, nach der Auffahrt auf der mentalen Gänsehautautobahn plötzlich mit der Handbremse ausgebremst zu werden.

`Wild Lingers` macht bereits in den ersten Sekunden seinen Standpunkt klar; ruhige Gitarrentöne werden durch ein fast bluesartiges Solo aufgewertet, während der cleane Gesang ein introvertiertes Epos abliefert, das mich wieder mit einer Gänsehaut bereichert. `Northward` ist der zehnminütige Rausschmeißer, der viel beinhaltet und mich dennoch kalt lässt, was ich aber gut finde. Eine große Stärke des Albums ist nämlich seine Langzeitwirkung und je öfter man das Album durchhört, umso mehr gibt es zu entdecken und umso besser setzen sich die Songs fest. Vielleicht kommt auch hier der Moment, in dem sich dieser Song mir eröffnet und ich mich frage, warum ich ihn nicht sofort zu schätzen wusste.

Lange Spielzeiten, viele Tempowechsel und keine eindeutige Genrezugehörigkeit kann man diesem Album vorwerfen, sowie die schnelle Ausbremsung der aggressiven Elemente an einigen Stellen. Ganz viel Abwechslung, emotional packender Gesang, Authentizität und eine sehr gute Langzeitwirkung stehen diesen Kritikpunkten gegenüber, die dieses Album für mich zwar nicht zum besten, aber zu einem guten BORKNAGAR Album macht. Die Songs kann ich mir einzeln jederzeit anhören, einige Songs warten noch darauf, von mir erschlossen zu werden und in Sachen Qualität ist das Jammern auf einem sehr hohen Niveau. Letzten Endes bereichert mich das Album an so vielen Stellen und lässt gleichermaßen Wünsche offen, die mich auf die weitere Entwicklung der Band neugierig machen.

 

7,5 von 10 Punkten

Redakteur: Sebastian Radu Groß

 

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