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Kai & Funky von TON STEINE SCHERBEN – Akustik im Rider´s Cafe Lübeck (15.10.2021)

20 Monate war das Rider´s Cafe in Lübeck – bedingt durch die Corona-Pandemie – geschlossen, aber nun geht es behutsam endlich wieder los. Und was passt da nicht besser als ein Akustikkonzert der ehemaligen „Scherben“?! Mit Kai Sichtermann am Bass und „Funky“ Klaus Götzner am Schlagwerk treffen wir heute auf zwei Urgesteine der legendären Band TON STEINE SCHERBEN. Diese Band war in den 70er und Anfang der 80er Jahre eine wahre Kultband, die mit deutschsprachigen Texten sozialkritisch aufrüttelte, anklagte oder gar den Finger in Wunden legte. Köpfe der Band waren damals Lanrue (bürgerlich Ralph Peter Steitz) und natürlich Rio Reiser (bürgerlich Ralph Möbius).

Kai und Funky bewahrten die alten Lieder von Ton Steine Scherben und Rio Reiser zusammen mit Marius del Mestre, einem späteren Gitarristen der Band. Auf einem Schiff bei einer Spreefahrt zelebrierten sie die Highlights ihres frühen Schaffens. Nachdem Marius dann nicht mehr zur Verfügung stand, wurde ihnen von Lanrue der Nürnberger Liedermacher Gymmick empfohlen. Dieser trat bereits schon längere Zeit mit einem eigenen Reiser- und Ton Steine Scherben-Programm auf.

Eigentlich heißt das Programm „50 Jahre Ton Steine Scherben“. Das Programm hätte allerdings schon im letzten Jahr laufen sollen, was ja aus bekannten Gründen eben nicht ging. So finden sich rund 80 Fans im Rider´s Cafe am heutigen Abend ein. Das Trio startet mit dem Song „Mein Name ist Mensch“ (1971) und „Heut Nacht“ aus 1975. Es folgen „Durch die Wüste“ und „Land in Sicht“. Mit dem „Arbeitslosen-Reggae“ folgt ein Song, den viele Rio Reiser zuschreiben. Es ist aber auch ein TSS-Song, der schon von 1978 ist. Aber nicht nur die alten Songs begeistern. Mit „Am Jenseits“ folgt eine neue Komposition von Sichtermann und Götzner. Ich erspare mir eine weitere Aufzählung

 der gespielten Songs. Die vollständige Setlist findet Ihr am Ende meines Berichtes.

Nach rund einer Stunde läuten die drei Musiker eine Pause ein. Eine kleine Überraschung währenddessen haben sie allerdings für das Publikum noch im Gepäck, denn jetzt betritt Misha Schoeneberg die Bühne. Misha war von 1981 ab an Mitbewohner der Kommune und arbeitete als Texter und Manager im Hintergrund. Bis zum Lebensende von Rio Reiser war er auch dessen Lebenspartner.

Misha verkürzt die Pause mit zwei Songs, bei denen er sich mit der Akustikgitarre selbst begleitet. Mit „Sternschnuppen“ bietet er einen Song, der sich nahtlos an das Programm anschließt. Der zweite ist ein Leonard Cohen Song auf deutsch gesungen. Er war derjenige, der von Cohen seinerzeit die Erlaubnis bekam, dessen Songs ins Deutsche zu übersetzen und zu nutzen. Singen sollte die Songs eigentlich damals Rio Reiser, aber hierzu kam es durch dessen frühen Tod leider nicht mehr.

Auch nach der Pause mangelt es nicht an Highlights und Überraschungen. „Wenn du schön wohnst“ steuerte Gymmick zum Programm bei. Der Song stammt ursprünglich von einem Sampler der Nürnberger Obdachlosenzeitung „Straßenkreuzer“ und wurde vom Trio aufgenommen und weiter bearbeitet. In der Setlist hinter „Wir bleiben drin“ platziert, führt er das Thema Mietwahnsinn hervorragend weiter.

Im Rider´s Cafe wird mittlerweile ordentlich mitgesungen. Und spätestens jetzt singt dann auch wirklich jeder mit. „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ ließ 1970 schon das Festivalbüro auf Fehmarn abbrennen. Hier am heutigen Abend bleibt jedoch alles textsicher und friedlich. Übersetzt Misha Schoeneberg Songs ins Deutsche, so kommt jetzt Kidd Viciouz auf die Bühne (eigentlich kümmert sie sich um das Merchandise) und  singt nun „Ich will nicht werden“ auf Englisch. Zum folgenden „Wir müssen hier raus“ kommt auch Misha Schoeneberg erneut auf die Bühne und steigt mit Kidd als Backgroundchor ein.

Nicht ganz eine Stunde und der zweite musikalische Teil geht zu Ende. Natürlich lassen sich die Musiker nicht lumpen, schließlich fehlen doch noch viele der Klassikersongs von Ton Steine Scherben. So beginnen sie die Zugabe mit dem „König von Deutschland“. Genau mit diesem Song gelang Rio Reiser der Solo-Durchbruch. Aber es ist eigentlich ein Song, den die „Scherben“ schon in den frühen 70ern schrieben, dann aber erst einmal in die Schublade packten. Den „Rauch Haus-Song“ schrieb Rio im Jahre 1972 nach der Erstürmung durch die Polizei im Jahre 1971, bedingt durch die damalige Hausbesetzung des Bethanien Krankenhauses. Auch wenn die Wenigsten der heutigen Gäste damals schon aktiv waren, textsicher werden heute Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg rausgeworfen.

Die Forderung nach weiteren Zugaben wird prompt erfüllt. Der zweieinhalbstündige Auftritt endet mit „Der Traum ist aus“ und „Junimond“. Vermisst werden nur wenige Songs, aber irgendwo muss ja bekanntlich auch einmal ein Ende sein. Schön war es auf jeden Fall.

Die komplette Setlist:
Set 1: 1. Mein Name ist Mensch, 2. Heut Nacht, 3. Durch die Wüste, 4. Land in Sicht, 5. Arbeitslosen-Reggae, 6. Am Jenseits, 7. Der Turm stürzt ein, 8. Schritt für Paradies, 9. Gefahr, 10. Wann, 11. Halt Dich an deiner Liebe fest, 12. Komm Schlaf bei mir, 13. Zauberland
Set 2: 14. Strasse, 15. Nur Dich, 16. Wir bleiben drin, 17. Wenn Du schön wohnst, 18. Macht kaputt, was Euch kaputt macht, 19. Ich will nicht werden, 20. Wir müssen hier raus, 21. Alles Lüge, 22. Menschenfresser, 23. Die letzte Schlacht, 24. Wenn die Nacht am Tiefsten, 25. Keine Macht für Niemand
Zugabe 1: 26. König von Deutschland, 27. Rauch Haus-Song
Zugabe 2: 28. Der Traum ist aus, 29. Junimond

 

Berichterstattung / PhotoCredits: Norbert Czybulka