ROCK GEGEN RECHTS – Kellinghusen setzt „live, umsonst und draußen“ ein Zeichen (07.09.2024)
Es ist heiß auf dem Marktplatz in Kellinghusen. Vor dem Bürgerhaus ist eine Bühne aufgebaut, ein Getränkestand und ein paar Infostände von Initiativen gegen Rechts. Die Kulturinitiative Mittelholstein e.V. hat dieses kleine Festival initiiert, um ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen gegen Rechts, um Strömungen, wie gerade zuletzt bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, entgegenzuwirken. Warum gerade in Kellinghusen? Diese kleine Stadt in Schleswig-Holstein weiß, wie es sich anfühlt, von rechten Gruppen tyrannisiert zu werden. 1989 gründete sich hier eine der bekanntesten Rechtsrock Bands. Die Gruppe „Kraftschlag“ gehört bis heute zu den bedeutesten Bands dieser Szene. Sie veranstalteten jahrelang Konzerte direkt am nahegelegenden Rensinger See und ihre Anhänger bescherten der Innenstadt Kellinghusens immer wieder Unruhen. In der damals einzigen Dorfdisco provozierten sie Schlägereien und Krawalle.
Heute #SindWirMehr. Ich treffe mich mit Dennis Tank vom Kulturverein sowie Lennis Till Dohlich und Lilly Sarzio vom Anders?=Anders! e.V., die hier gemeinsam auch schon den ersten Christopher Street Day (CSD) ausrichteten. Schon am frühen Nachmittag sind zur ersten Band Orange of Fire über einhundert Einwohner gekommen. Bei 28 Grad scharen sie sich im Schatten zusammen, genießen die kostengünstigen Getränge und lauschen der Band aus Lübeck. Auf dem Plakat war zwar „Lummensprung“ angekündigt, die Lübecker sprangen aber trotz eigener Widrigkeiten spontan für den krankheitbedingen Ausfall ein. Die Band musste den Abgang ihres Drummers verkraften. Nun suchen sie einen neuen und zum zweiten Mal kommt bei einem Liveauftritt das Drumming vom Band. Sie spielen einen eigenen Rock mit Einflüssen aus Reggae, Ska, Metal und Pop.
Ihre Setlist: 1.) Roads To Nowhere, 2.) The Confidence Anthem, 3.) Beyond, 4.) Hydrophilic, 5.) Nightexpress, 6.) The Wind up Heart, 7.) Gypsy Eyes
Es ist eine halbe Stunde Verzug im Zeitplan. Knud Voss aus Bendorf verwursten Punkrock mit viel Post, hypnotischen Kraut- und dancy Elektropop-Elementen auf ihre ganz eigene Weise und müssen eine Kürzung ihrer Slottime hinnehmen. Die Dithmarscher sind hier heute die Lokalmatadoren mit einer Anreise von nur 33 Kilometern.
Ihre Setlist: 1.) Peter 2.0, 2.) Kondensmilch, 3.) Capristube, 4.) Ammoniak, 5.) Flugrost, 6.) Sharp, 7.) Lichtorgel, 8.) Budenzauber, 9.) Rauschen, 10.) Höhlenboy, 11.) Unterbau, 12.) 11vor12, 13.) Fukushima, 14. Eckenrechnen
Die Fläche vor dem Bürgerhaus füllt sich – trotz Hitze – immer weiter. Der erste Headliner steht mit den Surfits aus Elmshorn auf der Bühne, der Zeitplan ist eingehalten. Wer wegen Rantanplan da ist, der steht auch jetzt schon vor der Bühne. Die Band spielt wie der Headliner auch, Ska mit Einflüssen des Rock und Punk.
Ihre Setlist: 1.) New Surf II Em, 2.) Underground, 3.) Pool Party Supreme, 4.) Ska Attack, 5.) May 1st, 6.) Mindfuck, 7.) We stand as One (Punk), 8.) Warszawa, 9.) To You, 10.) Democracy 101, 11.) Bella Ciao, 12.) Fuck-You-I-Don´t Care-Syndrome, 13.) Detox, 14. Unbelievable
Die nächste Band ist wie zu Beginn „Female Fronted“ und erinnert an Ina Bredehorst mit „Deine Cousine“. Es handelt sich aber um die neue Band Muuske aus Bad Segeberg. Die Band steht im Schatten von Rantanplan und supporten diese auch auf deren „Ahoi“-Tour. Sie bezeichnen ihre Art der Musik als bunten Punkpop, werden aber auch in die allgemeine Schublade des Alternative Punk geworfen. Ihre EP „Wir“ ist Ende 2023 heraus gekommen und ging durch aller Munde. Der ostfriesische Kosename Muuske steht für Mäuschen und stammt von Tanis Vater. Neben Tani stehen noch Gitarrist Sebastian und Drummer Lukas auf der Bühne, dessen Sessionaufnahmen die Bandgründung auslösten.
Ihre Setlist: 1.) Disco, 2.) Erzähl mir nichts vom Leben, 3.) Reset und Neustart, 4.) Deine Schwäche, 5.) No Risk no fun, 6.) Wir sagen nein, 7.) Endlich bereit, 8.) Suche ich Dich, 9.) Frei sein, 10.) Du willst mehr, 11.) Ich kann nicht mehr
Plötzlich ist aus dem Verzug ein Vorsprung geworden. Der Aufbau und Soundcheck von Rantanplan läuft schneller als erwartet. Die Jungs haben keine Lust 30 Minuten zu warten und fangen so schon um einiges früher an. So können sie problemlos auch länger spielen. Im Backstage-Bereich wird die Setlist gemeinschaftlich beraten und auf einem alten Festivalplakat handschriftlich geschrieben. Ihr neue, nächste Tour nennt sich „30 (Millionen) Jahre“ und drückt das Tourmotto vortrefflich aus. Die Dinosaurier des Ska-Punks aus St. Pauli werden in ganz Europa geliebt. Selbst hier bei diesem kostenlosen Konzert geben sie alles und stehen über zwei Stunden auf der Bühne.
Ihre Setlist: 1.) Ahoi, 2.) Plädoyer für die Elbmündung, 3.) Stay Rudel Stay Rebel, 4.) Alles wird Pop, 5.) Rude Boys, 6. Durch die Nacht fällt Schnee, 7.) Sturmvögel, 8.) Revolution (Emma G.), 9.) Comandante, 10.) Zombie Che, 11.) Großversuch (in Sachen Leben), 12. Wir sind nicht die Onkelz, 13. Schattenmensch, 14.) Am Meer, 15.) Unbekanntes Pferd, 16.) Wahre Skinheads fahren Rad, 17.) Jeder so wie er kann, 18.) Rudegirl from Outta Space, 19.) An/Aus, 20.) Monsterschiss, 21.) … aber die Zeiten sind andere, 22.) Fass die Uhr nicht an, 23.) Hamburg, 8 Grad, Regen, 24. Kiel, 25. St. Pauli; Zugabe: 26.) Natural Born Altona, 27.) Efrem Zimbalist JR, 28.) Explosion, 29.) Sterben
Fazit: Ein Festival mit Tiefgang, das durch den Verein hervorragend organisiert wurde. Ordner, Polizei und Fans gechilled, selbst die Laufkundschaft begeistert. Alles blieb friedlich. Einzig die Hitze bekam nicht jeden. Dass dabei der Getränkevorrat ausging und es zu ungekühltem Bier kam, sei verziehen.
Berichterstattung / PhotoCredit: Norbert Czybulka